Ein Leben lang
1. KAPITEL
„Ich bin eindeutig nicht mehr in Kalifornien.“
Rebecca Parrish Wallingford ließ ihren Blick über den staubigen Hof der Ranch schweifen. Sie stützte sich auf die geöffnete Tür ihres Mietwagens und betrachtete die Gebäude, die in einem akkuraten Halbrund angeordnet waren.
Das einstöckige Haupthaus hatte im Laufe der Jahre eine öde dunkelgraue Farbe bekommen. An der linken Hausseite stand ein großer knorriger Ahorn. Seine grünen Zweige streiften die Scheiben der Schiebefenster im ersten Stock und das Vordach der breiten Veranda. Auch rechts stand ein Ahorn, der Schatten spendete.
Das Haus lag still in der Junihitze da. Falls jemand anwesend war, konnte Rebecca ihn jedenfalls weder sehen noch hören.
Sie schaute links am Haupthaus vorbei auf die anderen Gebäude, die offensichtlich renoviert worden waren. Neues Holz und Schindeln bildeten ein Flickwerk aus blasser Farbe, das sich von der verwitterten großen Scheune abhob. Der große Zaun, der das Gehöft umgab, war aus unbehandeltem Holz gezimmert. Vor einem lang gestreckten Schuppen direkt hinter dem Zaun standen drei staubige Pickups. Rebecca hörte laute Hammerschläge und das schrille Kreischen einer Säge aus dem Schuppen dringen.
Jetzt trat ein Mann aus dem dunklen Innern in das gleißende Licht der Nachmittagssonne und schlenderte auf die Pickups zu.
Sein Blick wanderte zum Haus. Doch als er Rebecca entdeckte, änderte er abrupt die Richtung und kam auf sie zu.
Sein Oberkörper war entblößt, der Bund seiner ausgewaschenen Jeans wurde vom Gewicht eines Werkzeuggürtels nach unten gezogen. Sein Gesicht wurde von der breiten Krempe eines Strohhuts verborgen. Rebecca schaute ihm wie gebannt entgegen, gänzlich unfähig, ihren Blick von diesen langen, lässig ausschreitenden Beinen, den braun gebrannten, im Sonnenlicht glänzenden Schultern und den muskulösen sehnigen Armen loszureißen.
„Tag, Ma’am.“ Der Mann blieb ein paar Schritte vor ihr stehen. „Kann ich irgendwas für Sie tun? Haben Sie sich verfahren?“
Er sprach mit tiefer schleppender Stimme. Als Rebecca seinen Blick auf sich fühlte, war es fast, als ob er sie berührt hätte.
Ihr lief es heiß und kalt über den Rücken. Das leichte schwarze Leinenkostüm, das sie für die Reise angezogen hatte, war ihr plötzlich viel zu warm. Ihre Reaktion auf diesen Mann verblüffte sie. Was war mit ihr los? Schnell versuchte sie ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Auf dem Gesicht des Mannes glänzten Schweißperlen, und seine etwas zu langen braunen Haare waren schweißfeucht und ringelten sich im Nacken und über den Ohren.
Und dann diese Augen! Sie lagen eingebettet zwischen dichten schwarzen Augenbrauen und ausgeprägten Wangenknochen. Hatte sie je zuvor eine solche Augenfarbe gesehen? Dunkelgold? Sein Nasenrücken war leicht gekrümmt, und Rebecca überlegte flüchtig, ob er sich die Nase wohl irgendwann einmal gebrochen hatte. Er hatte kein klassisch schönes Gesicht, aber er strahlte etwas durch und durch Männliches aus, von dem sie sich auf Anhieb bedroht fühlte.
Normalerweise fühlte sie sich allein schon auf Grund ihrer Körpergröße – fast ein Meter achtzig – Männern körperlich nur selten unterlegen. Aber dieses Exemplar hier machte ihr überdeutlich bewusst, dass sie zartknochiger und eindeutig weiblich war.
Ihre Reaktion ließ in ihrem Kopf sämtliche Alarmglocken schrillen.
Und die Art, wie er sie anschaute – aus halbgeschlossenen Augen, in denen sich eine Schwüle spiegelte, die nichts mit der Gluthitze des Nachmittags zu tun hatte
– bewirkte, dass die Alarmglocken noch lauter schrillten.
Sie hatte schon öfter begehrliche Blicke auf sich gespürt, aber normalerweise reagierte sie darauf überhaupt nicht. Dass dieser Mann sie mit einem einzigen Blick derart aus dem Gleichgewicht bringen konnte, ärgerte sie ungemein.
„Ich hoffe nicht. Ich suche Jackson Rand, den Besitzer der Rand Ranch.“ Der Mann stellte seinen Blick scharf und runzelte leicht die Stirn.
„Ich bin Jackson Rand.“
Oh, nein. Rebecca versteifte sich. Das hatte ihr gerade noch gefehlt!
„Freut mich, Sie kennen zu lernen, Mr. Rand.“ Entschlossen, sich ihre Verunsicherung nicht anmerken zu lassen, ging sie auf ihn zu und streckte ihm die Hand hin. Seine viel größere Hand umfing ihre, und als er kurz zudrückte, spürte sie seine schwieligen Handflächen. „Ich bin Rebecca Wallingford von Bay Area Investments – ich glaube, Sie erwarten mich.“ Während
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