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Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe

Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe

Titel: Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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die gellende, spöttische Stimme, die er an diesem Abend schon einmal gehört hatte, Wort für Wort wiederholte. Er horchte und erkannte gleich, daß es keine Menschenstimme war, sondern nur der Wind, der im Schornstein sein Wesen trieb. Aber es war seltsam, sobald der Wind seine Gedanken in dieser Weise laut wiederholte, erschienen sie ihm merkwürdig dumm, hartherzig und falsch.
    Die Kinder hatten sich indessen nebeneinander auf dem harten Boden ausgestreckt; aber sie waren nicht still, sondern murmelten noch etwas vor sich hin.
    „Wollt ihr wohl schweigen!“ rief der Bauer. Er war jetzt in so gereizter Stimmung, daß er die Kinder hätte schlagen können.
    Aber das Gemurmel hörte nicht auf, obgleich er den Kindern noch einmal barsch zu schweigen befahl.
    „Als unsere Mutter von uns fortging,“ sagte da plötzlich eine helle Kinderstimme, „mußte ich ihr versprechen, mein Abendgebet nie zu vergessen. Dieses Versprechen muß ich halten und Britta Marie auch. Sobald wir: ‚Müde bin ich, geh zur Ruh, schließ die müden Augen zu‘ gebetet haben, sind wir ganz still.“
    Der Bauer blieb wortlos sitzen und hörte die Kleinen ihr Abendgebet sprechen. Dann ging er mit langen Schritten im Zimmer hin und her, und zuweilen preßte er wie in großer Seelenangst die Hände zusammen.
    Das Pferd zugrunde gerichtet! Die beiden Kinder zu umherstrolchenden Bettlern gemacht! Und beides das Werk seines Vaters! Ach, was der Vater getan hatte, war am Ende doch nicht immer ganz recht gewesen!
    Er warf sich auf einen Stuhl und stützte den Kopf in die Hände. Plötzlich begann es in seinem Gesicht zu zucken; die Tränen traten ihm in die Augen, aber rasch wischte er sie weg. Doch neue Tränen drangen hervor, und es half nichts, daß er auch diese eilig wegwischte, es kamen immer neue.
    Jetzt öffnete seine Mutter die Tür des Hinterstübchens, und eilig drehte der Bauer seinen Stuhl um, damit er ihr den Rücken zuwendete. Aber sie mußte doch etwas Außergewöhnliches gemerkt haben, denn sie blieb eine gute Weile hinter ihm stehen, wie wenn sie darauf wartete, daß er etwas sage. Dann fiel ihr ein, wie schwer es den Männern immer wird, von dem zu sprechen, was sie am tiefsten berührt; ja, sie mußte ihm wohl ein wenig helfen.
    Vom Hinterstübchen aus hatte sie gesehen, was sich in der großen Stube zugetragen hatte; sie brauchte deshalb nicht zu fragen. Sie ging nur ganz leise zu den beiden schlafenden Kindern hin, hob sie auf, trug sie ins Hinterstübchen und legte sie da in ihr eigenes Bett. Dann kam sie wieder zu dem Sohne heraus.
    „Du, Lars,“ sagte sie und tat, als sähe sie gar nicht, daß er weinte. „Laß mich die Kinder hier behalten!“
    „Was sagst du, Mutter?“ fragte er und versuchte seine Tränen zu unterdrücken.

    „Ich habe sie schon immer herzlich bedauert, gleich damals, als dein Vater ihrer Mutter das Haus verkaufte. Und auch du hast Mitleid mit ihnen gehabt.“
    „Ja, aber …“
    „Ich möchte sie gerne hier behalten und ordentliche Menschen aus ihnen machen. Sie sind zu gut zum Betteln.“
    Der Bauer konnte nichts erwidern, denn jetzt stürzten ihm die hellen Tränen aus den Augen; er ergriff die runzlige Hand seiner Mutter und streichelte sie.

    Doch plötzlich fuhr er, wie von Angst erfaßt, jäh auf. „Was würde der Vater dazu sagen?“ rief er.
    „Der Vater hat zu seiner Zeit hier geherrscht, jetzt ist die deinige gekommen. Solange der Vater lebte, mußte ihm gehorcht werden. Jetzt aber ist die Reihe an dir, zu zeigen, wer du bist.“
    Der Sohn war so überrascht über diese Worte, daß seine Tränen versiegten. „Aber ich zeige mich doch, wie ich bin!“ sagte er.
    „Nein,“ erwiderte seine Mutter, „das tust du eben nicht. Du gibst dir nur alle Mühe, deinem Vater zu gleichen. Der aber hat harte Zeiten hier durchgemacht, und deshalb graute ihm vor der Armut. Er meinte, er sei verpflichtet,in erster Linie nur immer an sich selbst zu denken. Du aber hast solche schwere Zeiten, die dich hätten hart machen können, nie gekannt. Du hast mehr, als du brauchst, und da wäre es unnatürlich, wenn du nicht auch an andre denken würdest.“
    Hinter den beiden Kindern war der Junge ins Haus und in die Stube hineingeschlüpft und hatte sich da in einem dunkeln Winkel versteckt. Schon im ersten Augenblick hatte er den Scheunentürschlüssel, der aus der Rocktasche des Bauern herausguckte, entdeckt.
    „Wenn der Bauer die Kinder fortschickt, nehme ich den Schlüssel und laufe mit ihm davon,“

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