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Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe

Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe

Titel: Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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jetzt eben machten sie vor dem Wirtshaus halt.

    Der Junge sah gleich, daß es zwei kleine Mädchen waren, und er lief auf sie zu, denn er dachte, sie würden ihm vielleicht helfen können.
    „Komm, Britta Marie,“ sagte das eine von den Kindern, „jetzt darfst du nicht mehr weinen. Hier ist die Herberge. Hier bekommen wir gewiß ein Nachtlager.“
    Kaum hatte das Mädchen dies gesagt, als der Junge ihr auch schon zurief: „Nein, ihr braucht gar nicht erst zu fragen, ob man euch im Wirtshaus aufnehmen wolle, denn das ist ganz unmöglich. Aber in dem Bauernhof hier sind keine Gäste. Gehet nur hinein!“
    Die beiden kleinen Mädchen hörten die Worte deutlich, konnten aber den, der mit ihnen sprach, nicht sehen. Sie verwunderten sich indes nicht weiter darüber, denn ringsum war es stockdunkel. Das größere Mädchen erwiderte denn auch sogleich: „In diesen Hof wollen wir nicht hineingehen, denn die Leute, die darin wohnen, sind hart und geizig. Sie sind schuld daran, daß wir hier auf der Landstraße betteln gehen müssen.“
    „Das ist wohl möglich,“ sagte der Junge. „Aber gehet trotzdem nur hinein; ihr werdet sehen, es läuft alles gut ab.“
    „Nun, wir können es jedenfalls versuchen, aber man wird uns nicht einmal hineinlassen,“ sagten die beiden Kinder; damit gingen sie auf das Wohnhaus zu und klopften an die Tür.
    Der Bauer stand noch immer am Feuer und dachte an sein altes Pferd; da drang das Klopfen der Kinder an sein Ohr. Er ging an die Haustür, um zu sehen, wer draußen sei, beschloß aber zugleich, sich gewiß nicht überreden zu lassen, irgendeinen Wanderer aufzunehmen. Aber in dem Augenblick, wo er einen Spalt an der Tür öffnete, lag auch schon die Windsbraut auf der Lauer. Sie riß dem Bauern die Tür aus der Hand und warf ihn selbst gegen die Wand zurück. Um die Tür wieder zuzuziehen, mußte er auf die Haustreppe hinaustreten, und als er in die Stube zurückkehrte, standen die beiden Kinder schon mitten darin.
    Es waren zwei arme, schmutzige, in Lumpen gehüllte, halb verhungerte Bettelkinder, zwei kleine Mädchen, die unter der Last von zwei Bettelsäcken, die ebenso groß waren wie sie selbst, heftig keuchten.
    „Was seid denn ihr für Pack, das noch so spät in der Nacht unterwegs ist?“ fragte der Bauer unfreundlich.
    Die beiden Kinder antworteten nicht sogleich, sondern stellten zuerst ihre Säcke ab. Dann traten sie mit zum Gruß ausgestreckten Händen auf den Bauern zu. „Wir sind die Anne und die Britta Marie vom Engärd,“ sagte die ältere, „und wir möchten um eine Nachtherberge bitten.“
    Der Bauer ergriff die ihm dargebotenen Händchen nicht, ja, er wollte die beiden Bettelmädchen gerade vor die Tür setzen, als eine neue Erinnerung vor ihm auftauchte. Das Engärd war ein kleines Haus, wo eine bedürftige Witwe mit ihren fünf Kindern gewohnt hatte. Die Witwe war dem alten Bauern einige hundert Kronen schuldig gewesen, und um seine Forderung zu befriedigen, hatte der Bauer ihre Hütte verkaufen lassen. Die Witwe war hierauf mit ihren drei ältesten Kindern nach Nordland gezogen, dortArbeit zu suchen, die beiden jüngeren aber waren der Gemeinde zur Last gefallen.
    Dem Bauern stieg der Ärger auf, als er an dieses Vorkommnis dachte. Er wußte, wie sehr sein Vater im Kirchspiel verurteilt worden war, weil er das Geld verlangt hatte, das ihm doch von Rechts wegen gehört hatte.
    „Was tut ihr denn gegenwärtig?“ fragte er mit barscher Stimme. „Sorgt denn der Armenpfleger nicht für euch? Warum streicht ihr auf der Landstraße umher und bettelt?“

    „Wir können nichts dafür,“ antwortete das ältere Mädchen. „Die Leute, bei denen wir sind, haben uns auf den Bettel ausgeschickt.“
    „Ja, und ihr könnt euch nicht beklagen, denn eure Säcke sind ja ganz voll,“ sagte der Bauer. „Es ist am besten, ihr esset euch an dem, was ihr darin habt, satt, denn hier gibt es nichts zu essen. Alle Frauenzimmer auf dem Hofe sind schon zu Bett. Und dann könnt ihr euch hier in die Ecke am Herd legen, da friert ihr nicht.“
    Dabei machte er eine abwehrende Bewegung mit der Hand, wie um die Kinder zurückzuscheuchen, und seine Augen nahmen einen fast harten Ausdruck an, denn er dachte, er müsse ja froh sein, daß er einen Vater gehabt hatte, der um sein Besitztum besorgt gewesen war, sonst hätte er, der Sohn, vielleichtauch als kleiner Junge mit dem Bettelsack umherlaufen müssen, wie diese Kinder hier.
    Kaum hatte der Bauer diesen Gedanken zu Ende gedacht, als

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