Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe
ich.
Einmal saß ich viele Jahre lang ununterbrochen in einem Käfig bei einem Obersteiger hier in Falun, und in seinem Hause erfuhr ich das, was ich dir jetzt erzählen will.
In alten Zeiten wohnte hier in Dalarna ein Riese mit seinen beiden Töchtern. Als nun der Riese alt war und fühlte, daß er sterben mußte, ließ er seine Töchter vor sich kommen, um sein Besitztum zwischen ihnen zu teilen.
Sein Hauptreichtum bestand in einigen ganz mit Kupfer angefüllten Bergen, und diese wollte er seinen Töchtern schenken. ‚Aber ehe ich euch die Erbschaft übergebe,‘ sagte der Riese, ‚müßt ihr mir versprechen, jedweden Fremdling, der euern Kupferberg entdeckt, totzuschlagen, ehe er seine Entdeckung irgend einem andern Menschen mitteilen kann.‘
Die älteste der beiden Riesentöchter war wild und grausam, und sie versprach ohne Zögern, dem Gebot des Vaters Folge zu leisten. Die andre aber hatte ein weicheres Gemüt, und der Vater sah, daß sie überlegte, ehe sie das Versprechen gab. Deshalb vermachte er ihr nur ein Drittel der Erbschaft; und die älteste erhielt also gerade noch einmal so viel wie die jüngste.
‚Auf dich kann ich mich verlassen wie auf einen Mann, das weiß ich,‘ sagte der Riese, ‚und deshalb erhältst du den Bruderteil.‘
Gleich darauf starb der Riese, und lange Zeit hielten die beiden Töchter gewissenhaft ihr Gelübde. Mehr als ein armer Holzfäller oder Jäger entdeckte das Kupfererz, das an mehreren Stellen ganz an der Oberfläche der Berge lag; aber kaum war er zu Hause angelangt und hatte den Seinigen mitgeteilt, was er gesehen hatte, als ihm auch schon ein Unglück zustieß. Entweder wurde er von einem stürzenden Baum erschlagen oder unter einem Bergsturz begraben. Nie hatte er Zeit, einem andern Menschen zu zeigen, wo der Schatz in der Wildnis zu finden war.
Die Geschichte von der Grube zu Falun
(Zu Seite 268)
Zu jener Zeit war es allgemein Brauch im Lande, daß die Bauern im Sommer ihr Vieh weit hinein in die Wälder auf die Weide schickten. Die Hirtenmädchen zogen mit aus, sie zu bewachen, sie zu melken und Butter und Käse zu bereiten. Und damit die Leute und das Vieh ein Obdachin der Einöde hätten, rodeten die Bauern mitten in der Wildnis ein Stück Wald um und errichteten ein paar kleine Blockhäuser, die sie Sennhütten nannten.
Nun aber hatte einmal ein Bauer, der am Dalälf im Kirchspiel Torsång wohnte, seine Sennhütten drüben am Runnsee errichtet, wo der Boden so steinig war, daß ihn bis dahin niemand urbar zu machen versucht hatte. In einem Herbst begab sich der Bauer mit zwei Lastpferden nach der Viehweide, um beim Heimschaffen des Viehs, der Butterfässer und der Käslaibe zu helfen. Als er das Vieh zählte, bemerkte er, daß einer der Geißböcke ganz rote Hörner hatte.
‚Was hat denn der Geißbock Kåre für merkwürdig rote Hörner?‘ fragte der Bauer die Sennerin.
‚Ich weiß nicht, was es ist,‘ antwortete das Mädchen. ‚Den ganzen Sommer hindurch ist er jeden Abend mit solchen roten Hörnern zurückgekommen. Er glaubt gewiß, das sei schön.‘
‚Meinst du?‘ fragte der Bauer.
‚Ach, dieser Bock ist eine eigensinnige Kreatur; ich mag ihm die roten Hörner noch so oft abreiben, sofort läuft er wieder davon und macht sie sich von neuem rot.‘
‚Reibe die rote Farbe noch einmal ab,‘ sagte der Bauer. ‚Dann will ich sehen, woher er sie bekommt.‘
Kaum hatte das Mädchen die Hörner abgerieben, als der Bock auch schon wieder rasch in den Wald hineinsprang. Der Bauer lief hinter ihm her, und als er den Bock einholte, rieb dieser eben seine Hörner an einigen roten Steinen. Der Bauer hob die Steine auf, leckte und roch daran und war überzeugt, daß er hier Erz gefunden hätte.
Während er noch dastand und über die Sache nachdachte, rollte dicht neben ihm ein Felsblock den Berg herunter. Der Bauer sprang auf die Seite und rettete sich, der Bock Kåre aber wurde getroffen und erschlagen; und als der Bauer den Abhang hinaufschaute, sah er ein großes, starkes Riesenweib, das eben im Begriff war, einen zweiten Felsblock auf ihn herunter zu wälzen.
‚Was tust du denn?‘ rief der Bauer. ‚Ich habe doch weder dir noch den Deinigen etwas zuleide getan.‘
‚Das weiß ich wohl,‘ erwiderte die Riesin. ‚Aber ich muß dich umbringen, weil du meinen Kupferberg entdeckt hast.‘ Sie sagte dies mit so betrübter Stimme, wie wenn sie den Bauern ganz gegen ihren Willen töten müsse, und so faßte sich dieser ein Herz und knüpfte
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