Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe
fand?“
„Ich glaube, ich kann es erraten, Wind-Eile, und nachdem du dies erzählt hast, will ich etwas Ähnliches zum besten geben. Entsinnt ihr euch der großen schwarzen Katze im Hinneryder Pfarrhaus? Sie war mit ihrer Herrschaft unzufrieden, weil diese ihr immer die neugeborenen Jungen wegnahm und ertränkte. Nur ein einziges Mal gelang es der Katze, die kleinen Neugeborenen zu verstecken, denn da legte sie sie in eine Strohmiete auf dem Acker. Sie war überglücklich mit ihren Jungen, aber ich glaube, ich hatte noch mehr Freude an ihnen als sie.“
Jetzt wurden die andern Krähen so eifrig, daß sie einander ins Wort fielen. „Ist das eine Kunst, Eier und neugeborene Junge zu stehlen?“ rief eine. „Ich hab einmal einen jungen, beinahe ausgewachsenen Hasen erjagt. Da galt es, ihn von Dickicht zu Dickicht zu verfolgen – –“
Weiter kam sie nicht, denn schon fiel ihr eine andre ins Wort. „Es mag ja ganz lustig sein, Hühner und Katzen zu ärgern, aber viel interessanter finde ich es, wenn eine Krähe einem Menschen Verdruß bereiten kann. Ich hab einmal einen silbernen Löffel gestohlen – –“
Aber länger konnte der Junge diese Unterhaltung nicht mit anhören. „Nein, hört nun, ihr Krähen, ihr solltet euch schämen,“ sagte er, „so viele Schlechtigkeiten preiszugeben. Jetzt habe ich drei Wochen bei den Wildgänsen zugebracht, aber von ihnen habe ich nur Gutes gehört. Ihr müßt einen schlechten Häuptling haben, wenn er euch erlaubt, auf solche Weise zu rauben und zu morden. Ihr solltet ein neues Leben anfangen, denn ich sage euch, die Menschen sind eurer Bosheit so überdrüssig geworden, daß sie euch auszurotten versuchen, koste es, was es wolle. Und dann wird es bald aus mit euch sein.“
Als Wind-Eile und die Krähen dies hörten, wurden sie so erbost, daß sie sich auf den Jungen stürzten, um ihn zu zerhacken und zu zerreißen. Aber Fumle-Drumle lachte und krächzte und stellte sich vor ihn hin. „Nein, nein, nein!“ wehrte er ab und schien ganz entsetzt zu sein. „Was meint ihr wohl, was Wind-Kåra sagen wird, wenn ihr den Däumling umbringt, ehe er uns die Silbermünzen verschafft hat?“
„Ja du, du hast wohl Angst vor dem Weibervolk!“ rief Wind-Eile. Aber jedenfalls ließen er und die andern Krähen Däumling jetzt in Frieden.
Bald darauf zogen die Krähen weiter. Bis dahin hatte der Junge fortwährend gedacht, Småland sei doch kein so armes Land, wie ihm gesagt worden war. Es war ja wohl dicht bewaldet und voller Bergrücken, aber an den Flüssen und Seen lagen bebaute Felder, und eine wirkliche Wildnis hatte er bis jetzt noch nicht angetroffen. Aber je tiefer er ins Land hineinkam, desto weiter voneinander entfernt waren die Dörfer und Gehöfte, und schließlich war es doch, als fliege er über eine wahre Wildnis hin, denn er sah nichts als Moore, Heideland und Felsenhügel.
Die Sonne war im Untergehen, aber es war doch noch taghell, als die Krähen die mit Heidekraut bewachsene Ebene erreichten. Wind-Eile schickte eine Krähe voraus mit der Nachricht, daß ihr Suchen mit Erfolg gekrönt worden sei; und als dies bekannt wurde, flogen mehrere hundert Krähen, Wind-Kåra an der Spitze, vom Krähenhügel fort und den Ankommenden entgegen. Mitten unter dem ohrenzerreißenden Krächzen, das die Krähen bei der gegenseitigen Begrüßung ausstießen, sagte Fumle-Drumle zu dem Jungen: „Du bist auf der ganzen Reise so lustig und vergnügt gewesen, daß ich dich liebgewonnen habe. Deshalb will ich dir jetzt einen guten Rat geben. Sobald wir uns niederlassen, trägt man dir eine Arbeit auf, die dir sehr leicht vorkommen wird. Aber hüte dich wohl, sie auszuführen.“
Gleich darauf setzte Fumle-Drumle den Jungen in einer Sandgrube nieder. Der Junge ließ sich auf den Boden fallen und blieb wie zum Tode ermattet liegen. Flügelschlagend, daß es wie ein Sturm brauste, flatterten unzählige Krähen um ihn her; aber der Junge machte die Augen nicht auf.
„Steh auf, Däumling!“ befahl Wind-Eile. „Du mußt etwas für uns tun, was für dich eine Kleinigkeit ist.“
Aber der Junge rührte sich nicht, sondern stellte sich schlafend. Doch ohne ein weitres Wort zu verlieren, packte ihn Wind-Eile am Arm und schleppte ihn über den Sand zu einem altertümlich geformten tönernen Topf hin, der mitten in der Grube stand. „Steh auf, Däumling,“ befahl er, „und öffne uns den Topf!“
„Warum läßt du mich denn nicht schlafen?“ sagte der Junge. „Heute abend bin ich
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