Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe
Fichte nieder, wo er so gut verborgen war, daß ihn nicht einmal der Blick eines Falken hätte entdecken können.
Die Schnäbel auf den Jungen gerichtet, stellten sich fünfzehn Krähen als Wache um ihn herum. „Nun, ihr Krähen, werde ich jetzt vielleicht erfahren, warum ihr mich geraubt habt?“ fragte der Junge.
Aber er hatte kaum ausgeredet, als ihn auch schon eine große Krähe anzischte: „Schweig! Oder ich hacke dir die Augen aus!“
Und mit diesem Ausspruch war es der Krähe sicherlich Ernst, darüber konnte kein Zweifel herrschen; dem Jungen blieb also nichts andres übrig, als zugehorchen. Schweigend saß er da und starrte die Krähen an, und die Krähen starrten ihn an.
Aber je länger er sie betrachtete, desto weniger gefielen sie ihm. Ihr Federkleid war schrecklich schmutzig und schlecht geputzt, ganz als ob die Krähen von einem Bad oder von Einölen gar nichts wüßten. An ihren Zehen und Klauen klebte vertrocknete Erde, und in den Schnabelwinkeln saßen Speisereste. Das war ein andrer Schlag Vögel als die Wildgänse, das sah der Junge wohl. Sie hatten ein grausames, habsüchtiges, gieriges und freches Aussehen, ganz wie richtige Räuber und Landstreicher.
„Da bin ich ja wohl unter ein echtes Räuberpack geraten,“ dachte der Junge.
In demselben Augenblick hörte er den Lockruf der Wildgänse über sich: „Wo bist du? Hier bin ich! Wo bist du? Hier bin ich!“
Er erriet, daß Akka und die andern auf der Suche nach ihm waren; aber ehe er antworten konnte, zischte die große Krähe, die der Anführer der Bande zu sein schien, ihm ins Ohr: „Denk an deine Augen!“ Und es blieb ihm nichts andres übrig, als zu schweigen.
Die Wildgänse hatten wohl keine Ahnung, daß der Junge ihnen so nahe war; sie waren gewiß nur zufällig über diesen Wald hingeflogen, denn der Junge hörte sie nur noch ein paarmal rufen, dann verstummten sie. „Ja, nun mußt du dir selbst helfen, Nils Holgersson!“ sagte er zu sich selbst. „Nun mußt du zeigen, ob du während der in der Wildnis verbrachten Wochen etwas gelernt hast.“
Nach einer Weile machten die Krähen Anstalt, aufzubrechen; sie hatten offenbar die Absicht, den Jungen noch weiter mitzunehmen, und zwar wieder so, daß ihn die eine am Hemdkragen, die andre am Strumpf festhielt. Doch da sagte der Junge: „Ist denn keine unter euch stark genug, mich auf ihrem Rücken zu tragen? Ihr habt mich schon so mißhandelt, daß ich wie gerädert bin. Laßt mich doch reiten, ich werde mich gewiß nicht hinabstürzen, das verspreche ich.“
„Glaube nur nicht, daß wir uns darum kümmern, wie es dir geht,“ sagte der Anführer.
Aber jetzt kam die größte von den Krähen herbei; sie hatte eine weiße Feder im Flügel und sagte: „Es wäre gewiß besser für uns alle, Wind-Eile, wenn wir Däumling ganz und nicht halb an Ort und Stelle brächten, deshalb will ich versuchen, ihn auf meinem Rücken zu tragen.“
„Wenn du es kannst, Fumle-Drumle, dann hab ich nichts dagegen,“ sagte Wind-Eile. „Aber verliere ihn ja nicht!“
Damit war schon viel gewonnen, und der Junge war wieder ganz vergnügt. „Den Mut brauche ich noch nicht zu verlieren, weil mich die Krähen geraubt haben,“ dachte er. „Mit diesen Gaunern werde ich schon fertig werden.“
Die Krähen flogen in südwestlicher Richtung immer weiter über Småland hin. Es war ein herrlicher, sonniger, warmer Morgen, die Vögel auf der Erde drunten gingen alle auf Freiersfüßen, sie sangen und zwitscherten ihre zärtlichsten Weisen. In einem hohen, dunklen Wald, hoch droben in dem Wipfel einerFichte, saß eine Drossel mit herabhängenden Flügeln und aufgeblähtem Hals und sang ein Mal ums andre: „Ach, wie schön bist du! Wie wunderbar schön bist du! Niemand ist so schön wie du!“ Und sobald sie mit diesem Liede zu Ende war, fing sie wieder von vorn an.
Aber gerade zu der Zeit flog der Junge über den Wald hin, und nachdem er das Lied ein paarmal mit angehört hatte und merkte, daß die Drossel sonst keines konnte, hielt er beide Hände wie eine Trompete vor den Mund und rief hinab: „Das haben wir schon früher gehört! Das haben wir schon früher gehört!“
„Wer macht sich über mein Lied lustig?“ fragte die Drossel und versuchte den Sprecher zu entdecken.
„Der von den Krähen Geraubte ist es!“ antwortete der Junge.
Da wendete der Krähenhäuptling den Kopf und sagte: „Hüte deine Augen, Däumling!“
Aber der Junge dachte: „Ach, was kümmere ich mich darum! Nun gerade
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