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Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)

Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)

Titel: Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolf Taschner
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und dass nach Eratosthenes andere Geometer versuchten, die Größe der Erde erneut zu vermessen. Schon damals trat ein eigentümlicher Effekt zutage, den wir aus der Gegenwart nur zu gut kennen: Wenn es politisch opportun ist, bemühen sich Anpasser und Liebediener unter den Experten, den Herrschenden nach dem Mund zu reden. Wie von Geisterhand wurde die Erde plötzlich kleiner. Bis sie zur Zeit des Kaisers Trajan am Äquator nur mehr den Umfang von 27 000 Kilometer besaß – so jedenfalls behaupteten es die damals maßgebenden Geometer. Dadurch verkleinerte sich auch die Oberfläche der Erde beträchtlich: von den 510 Millionen Quadratkilometern des Eratosthenes zu weniger als halb so vielen 230 Millionen Quadratkilometern. Die Weltreiche begannen, sich ihren Namen zu verdienen.
    Noch Christoph Kolumbus dürfte von der Annahme ausgegangen sein, die Erde habe am Äquator nur den Umfang von 27 000 Kilometern. Die Landmasse Europas und Asiens würde dann einen Großteil der Nordhalbkugel überdecken; die Entfernung von Lissabon bis zum chinesischen Quanzhou, von dem schon Ende des 13. Jahrhunderts der Venezianer Marco Polo berichtete, beträgt mehr als 11 000 Kilometer. Unter dieser Annahme konnte es Kolumbus wagen, auf der Westroute über den Atlantik China oder Indien erreichen zu wollen. Die Berater des portugiesischen Königshauses rieten davon ab, das Unternehmen zu finanzieren; sie vertrauten der alten Rechnung des Eratosthenes. Vom spanischen Hof wurde Kolumbus nach zähen Verhandlungen hingegen unterstützt, so dass er am 3. August 1492 in See stechen konnte. Bis zu seinem Lebensende war Kolumbus davon überzeugt, dass das Land, an dem er am 12. Oktober 1492 anlegte, „Hinterindien“ sei.
    Eine falsche Messung ermöglichte die Entdeckung Amerikas.

Astronomisch große Zahlen
    Ist ein Kreis mit 40 000 Kilometer Umfang schon schwer vorstellbar, 4 versagt unsere Vorstellungskraft völlig, wenn wir die Erde verlassen und kosmische Dimensionen in den Blick nehmen. Gar nicht lange nach Eratosthenes hatte der Astronom Hipparch den Abstand der Erde vom Mond vermessen. Sehr grob lässt sich dieser aufgrund der folgenden Beobachtung schätzen: Bei einer Mondfinsternis bedeckt der Erdschatten die Scheibe des Vollmonds. Der Rand des Erdschattens ist dabei immer kreisförmig – dies war, nebenbei erwähnt, für Aristoteles der Grund dafür, dass die Erde eine Kugel sein muss, denn nur ein kugelförmiger Körper wirft in jeder seiner Positionen einen kreisrunden Schatten. Hält man bei einer Mondfinsternis eine Ein-Euro-Münze eine Armlänge, also etwa 75 Zentimeter vom Auge entfernt in Richtung Mond, stimmt der Rand der Münze ziemlich genau mit dem Schattenrand der Erde überein. Weil der Rand der Münze etwa 75 Millimeter Umfang hat und die Münze zehnmal weiter vom Auge entfernt gehalten wurde, als ihr Umfang beträgt, kann man daraus schließen, dass der Mond rund zehnmal weiter von der Erde entfernt ist, als der Erdumfang beträgt. Das ergibt einen geschätzten Mondabstand von 400 000 Kilometern. Im Vergleich zum genau vermessenen mittleren Abstand des Mondes von der Erde von 384 000 Kilometern ist das keine üble Schätzung. Hipparch selbst hatte eine weitaus ausgeklügeltere Methode ersonnen, 5 mit der er den Abstand zwischen Erde und Mond bis auf wenige Prozent genau bestimmen konnte.

    Abb. 3: Der Erdschatten berandet bei einer Mondfinsternis den Vollmond so, dass seine Größe der einer 75 cm vom Auge entfernt gehaltenen Ein-Euro-Münze entspricht. Hieraus kann man grob den Abstand der Erde vom Mond schätzen.
    Kennt man den Abstand des Mondes von der Erde, lässt sich – so glaubte es wenigstens der noch vor Eratosthenes lebende Astronom Aristarch – sogar der Abstand der Sonne von der Erde bestimmen. Sieht man nämlich am Tageshimmel den genauen Halbmond, braucht man, so Aristarchs Idee, nur den Winkel zu messen, der sich zwischen dem Sehstrahl vom Auge zur Sonne und dem Sehstrahl vom Auge zum Mond erstreckt. Denn bei Halbmond ist auf dem Mond der Winkel zwischen dem Sehstrahl vom Auge zum Mond und dem Sonnenstrahl auf den Mond ein exakter rechter Winkel. Kennt man die Winkel des Dreiecks mit Erde, Mond und Sonne als Ecken, weiß man, welche Form das Dreieck besitzt. Und kennt man zusätzlich eine Seite dieses Dreiecks – in unserem Fall: die Länge der Strecke von der Erde zum Mond –, dann kennt manauch die beiden anderen Dreieckseiten.

    Abb. 4: Prinzip der Abstandsmessung

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