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Die Zeitstraße

Die Zeitstraße

Titel: Die Zeitstraße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Mahr
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weniger glücklichen Ur-Organismen, die zwischen den Universen hin und her pendelten und vor lauter Verwirrung nicht aus noch ein wußten. Aber in der Ordnung, die das disziplinierte Bewußtsein sich geschaffen hat, verliert es das Wissen, daß »Zeit« nur eine Modellvorstellung ist. Es vergißt die Existenz jener fast unendlich vielen, anderen Universen, die es niemals zu Gesicht bekommt, weil die eigene Disziplin es ihm verbietet. Es beginnt, die Zeit als etwas Naturgegebenes zu betrachten.
    Man stelle sich vor, daß der Mensch in seinem Bestreben, die Natur immer weiterer Geheimnisse zu berauben, die Kenntnis von der Existenz aller denkbaren Universen wiedergewinnt. Daß er Mittel und Methoden ersinnt, sich aus dem eintönig vorwärts gerichteten, mit stetig gleicher Geschwindigkeit dahingleitendem Strom der Zeit zu befreien. Daß er die Sequenz der Universen, die das Bewußtsein wahrnimmt, selbst und willkürlich bestimmt, anstatt ihre Auswahl der Disziplin seines Bewußtseins zu überlassen.
    Dann kommt es zu Erlebnissen, wie sie im folgenden geschildert sind. Zu Jake Wedells Reinfall bei Kunersdorf, zu Paul Danburys Unfähigkeit, sich selbst sozusagen ferngesteuert umzubringen. Oder zu den Abenteuern Richard McHenrys und Ohl Pommeroys, bei denen die Universensequenz völlig aus den Fugen gerät. Und schließlich zu Methusalahs »Seitwärtsgang« durch die Zeit und Elfur Khans wahnsinnsträchtiger Begegnung mit den Bewohnern des Planeten Sirrha.
    Kurt Mahr

 
1. Teil
 
EINE STRASSE NAMENS ZEIT
     
    Dem menschlichen Bewußtsein enthüllt sich seit Urzeiten die Zeit als ein eindimensionales Gebilde, sozusagen eine Einbahnstraße, über die sich das Universum in einer vorgegebenen Richtung mit konstanter, unveränderlicher Geschwindigkeit bewegt. Die Richtung: von früher nach später, zeitabwärts, sozusagen. Die Geschwindigkeit: sechzig Sekunden pro Minute.
    Die Erfindung der Zeitmaschine macht aus der einbahnigen Straße eine solche, die in beiden Richtungen und nun auch mit wechselnden Geschwindigkeiten befahren werden kann. Aber eben wiederum nur in der Vorstellung des Menschen. Er erweitert das Modell, das er sich aus der Erfahrung entwickelte, so, daß es die Zeitmaschine und die von ihr gebotenen Möglichkeiten einschließt. Gerade aber am Phänomen Zeitmaschine erweist sich, daß das menschliche Bewußtsein die Zeit von allem Anfang an falsch interpretiert hat.
    Jake Wedell zum Beispiel reiste von Green Belt (2023) nach Kunersdorf (1759). Für seine Vorstellung war die Reise nichts anderes als eine von Berlin (1974) nach Rom (1974). Nur stellte er, als er am Zielort ankam, fest, daß es mehr als ein Rom gibt, und bei der Rückkehr kommt ihm die Erkenntnis, daß im Kosmos eine fast unendlich große Anzahl Berlins existieren, teuer zu stehen.
    Oder Paul Danbury, der das klassische Zeitparadoxon zuwege bringen will, indem er bei seiner Reise in die Vergangenheit die eigene Existenz der Grundlage beraubt. Auch er muß feststellen, daß die Eindimensionalität der Zeit und die daraus abgeleiteten Regeln der Kausalität Erfindungen des menschlichen Geistes sind, Modellvorstellungen, die niemals richtig, jedoch wenigstens so lange von Nutzen waren, wie der Mensch es noch nicht gelernt hatte, sich in übergeordneten Kontinua zu bewegen.

 
Kunersdorf
     
    Der Anblick der Kugel in ihrer mattschimmernden, stählernen Pracht erfüllte Jake Wedell mit Ehrfurcht. Er hatte schon Dutzende von Malen hier gestanden, nachts, wenn niemand mehr im Labor war, und das Bild der Kugel in sich aufgenommen. Die Ehrfurcht, die er für das Gerät empfand, hatte sich durch die Wiederholung nicht verringert. Heute war er das letzte Mal hierhergekommen, um nur zu schauen. Wenn er morgen in diesen Raum trat, kam er, um zu handeln.
    Der Weltenvektor, der auf Jake Wedell wies, hatte vier Komponenten – x, y, z und 1 – deren Zahlenwerte das »Ereignis« Jake-Wedell-in-den-Anblick-des-Chronoskaphen-versunken in der Raum-Zeit festlegten: Green Belt, Maryland, 24. April 2023. Der Weltenvektor spielte in Jake Wedells Leben eine ganz besondere Rolle, denn morgen um diese Zeit sollte er drastisch verschoben werden.
    Wie er es sich in den vergangenen Monaten zur Gewohnheit gemacht hatte, begann Jake, nachdem er die Kugel ein paar Minuten lang reglos gemustert hatte, um diese herumzuschreiten. Sie hatte einen Durchmesser von drei Metern und ruhte auf einer stämmigen Unterlage von hölzernen Säulen und Brettern. Die Hülle schien fugenlos

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