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Die Zeitstraße

Die Zeitstraße

Titel: Die Zeitstraße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Mahr
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Kugel waren verwaschen, als erzittere sie unter heftigen Vibrationen. Für eine oder zwei Sekunden schien sie hinter einem nebligen Vorhang zu verschwinden, dann war sie plötzlich wieder da. Das nerventötende Summen erstarb. Es wurde totenstill in der Halle. Der Chronoskaph aber stand da, als wäre nichts geschehen.
    Blinzelnd musterte Pete Janssen das glitzernde Gerät. War das Experiment mißlungen? Hatte Jake Wedell noch im letzten Augenblick zur Vernunft zurückgefunden? Zögernd zunächst, als fürchte er sich vor dem Chronoskaphen, setzte Janssen sich in Bewegung. Dann jedoch gewann die Wißbegierde die Oberhand. Er stürzte auf die Kugel zu. Im Laufen zog er den Impulsgeber aus der Tasche und bearbeitete den Schaltknopf. Das Luk öffnete sich surrend. Die kleine Trittleiter stand noch da, die Jake Wedell sich beschafft hatte, um in die Kugel zu steigen. Mit zwei mächtigen Schritten stand Pete Janssen in dem kleinen, engen Experimentierraum der Zeitkapsel.
    Niemand hatte den Wissenschaftler jemals so ernst gesehen wie in dem Augenblick, als er aus dem Chronoskaphen wieder zum Vorschein kam.
    »Unser morgiges Experiment, meine Freunde«, sagte er mit einer Stimme, der jegliche Emotion fehlte, »ist schon gefahren. Jake Wedell ist nicht dort drin.«
    Erstauntes Gemurmel antwortete. Diejenigen, die sich in der Theorie der Chronoskaphie auskannten, wußten, was Janssen meinte. Die Kugel, die dort vor ihnen auf dem stämmigen Holzgestell ruhte, mochte bis auf die Anordnung des letzten Eisenatoms derjenigen gleichen, die sie noch vor wenigen Minuten gesehen hatten. Aber sie war nicht mehr mit ihr identisch. Sie enthielt Jake Wedell nicht, der sich an Bord befunden hatte.
    Die Zeit, bewies die Chronoskaphie, war kein eindimensionales Gebilde, kein Schienenstrang, den man hinauf- und hinabfahren kann. Denn wäre sie das, dann hätte der Chronoskaph verschwunden bleiben müssen, bis Jake Wedell sich aus eigenem Antrieb zur Rückkehr entschloß. So aber hatte sein unüberlegtes Wagnis für die Zurückbleibenden nur die Wirkung des Austauschs zweier möglicher Universen: eines mit Chronoskaph und Jake Wedell an Bord gegen eines mit Chronoskaph ohne Jake Wedell.
    »Der Himmel sei ihm gnädig!« murmelte Pete Janssen.
     
    Jake Wedell hatte mehrere Jahre Zeit gehabt, um sich auf diesen 25. April 2023 vorzubereiten. Er hatte die Geschichte studiert, um zu wissen, wohin in Raum und Zeit er sich zu wenden hatte. Er hatte sich mit Kleidungsstücken und Ausrüstungsgegenständen der Epoche versehen, die er zu besuchen gedachte, um sich dort ungehindert bewegen zu können. Er hatte sich mit Sprachen, Redewendungen und Gewohnheiten vertraut gemacht, um am Zielort nicht aufzufallen. Er war für sein Experiment so gründlich vorbereitet wie nie zuvor ein Experimentator.
    Dann waren ihm zum Schluß noch beinahe die Nerven durchgegangen. Als er Irene Mahler im Gang auftauchen sah, war es ihm klargeworden, daß man ihn in Verdacht hatte. In seiner Panik hatte er geglaubt, daß alles verloren sei, wenn er nicht sofort handelte. Anstatt zu warten, bis Irene außer Sichtweite war, hatte er sich aus seinem Versteck hervorgewagt, um in aller Eile ein paar Meter näher an das Ziel seiner Sehnsüchte heranzukommen. Irene hatte ihn gesehen. Sie hatte seinen Namen gerufen. Ein paar Augenblicke lang hing der Erfolg seines sorgfältig geplanten Unternehmens an einem dünnen Faden.
    Daß Irene nicht weiter nach ihm geforscht hatte, sondern ins nächste Büro gelaufen war, um von dort, wie er vermutete, Pete Janssen anzurufen, war ihm wie ein unverdientes Glück erschienen. Er erhielt dadurch ein paar Minuten Zeit, und mehr brauchte er nicht, um sein Vorhaben zu vollenden. Er hatte die Trittleiter geholt, die er sich im Verlauf des Tages an einem unauffälligen Ort zurechtgestellt hatte, und war in den Chronoskaphen geklettert. Er hatte den Generator und die Projektoren eingeschaltet und dann, als sie betriebsbereit waren, von der äußeren Energiezufuhr getrennt. Damit befand er sich in Sicherheit. Allmählich baute sich das Hüllfeld rund um die Kapsel auf. Niemand konnte ihn nunmehr zurückhalten. Die Zahlenwerte für die vier Komponenten des neuen Weltvektors hatte er schon vor Jahren berechnet und immer wieder überprüft. Er kannte sie auswendig. Er brauchte weniger als eine Minute, um sie in die kleine Konsole zu tippen, von der aus der Chronoskaph gesteuert wurde.
    Dann kam noch das kurze Gespräch mit Pete Janssen, das er lieber

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