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Die zweite Todsuende

Die zweite Todsuende

Titel: Die zweite Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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einem neuen. Als er mit der dritten Skizze halb fertig war, brach die Holzkohle. Er schleuderte den Stummel gegen die Wand, lachte laut auf, ging mit großen Schritten zu dem nackten Mädchen, packte ihr Gesäß und tätschelte es begeistert.
    «Gold!» schrie er dabei. «Pures Gold!»
    Mama hockte auf dem Feldbett, die Whiskeyflasche in der einen, ein schmutziges, halbvolles Glas in der anderen Hand. Maitland riß ihr die Flasche aus der Hand und setzte sie an den Mund. Er nahm zwei große Schlucke und rülpste.
    «Okay, Mama», sagte er. «Sie ist gut. Fünf Lappen die Stunde. Für zwei, drei Stunden am Tag.»
    «Aber keine Schweinereien», warnte die Frau.
    «Was?»
    «Keine Schweinereien mit Dolores.»
    Maitland lachte grölend. «Keine Schweinereien», beteuerte er, «Verdammt, ich rühr sie nicht an.»
    «Schweinereien kostet mehr wie fünf Dollar», sagte die Frau grinsend.
    Sie durfte das Glas leertrinken, dann schickte er die beiden weg. Mama versprach, Dolores Montagmorgen gegen elf zu bringen. Maitland schloß hinter ihnen ab und legte die Kette vor. Die Whiskeyflasche in der Hand, kehrte er zu seiner Materialkiste zurück. Er betrachtete die am Boden liegenden Skizzen, trank aus der Flasche, stieß die Blätter mit der Fußspitze an. Er rief sich ins Gedächtnis, wie das Mädchen ausgesehen hatte und komponierte in Gedanken bereits das erste Bild.
    Es klopfte an der Ateliertür. Erbost über die Unterbrechung schrie er: «Wer ist da?»
    Eine vertraute Stimme antwortete, und Maitland runzelte unwillig die Stirn. Er stellte die Flasche auf die Kiste, ging zur Tür, schloß auf und nahm die Kette weg. Dann riß er die Tür auf und wandte ihr den Rücken.
    «Schon wieder du!» sagte er dabei.
    Der erste Messerstich traf ihn weit oben, nahe der Wirbelsäule, mit solcher Wucht, daß Maitland taumelte. Sein Gesicht verzerrte sich, und er warf die Hände mit einer Geste des Entsetzens in die Höhe. Aber er ging nicht zu Boden.
    Die Klinge wurde herausgerissen und wieder hineingestoßen. Wieder und wieder. Auch als Victor Maitland mit dem Gesicht auf den Dielen lag und das Leben aus ihm heraussickerte, wurde das Messer noch in ihn hineingerammt. Seine Finger krümmten sich kraftlos. Dann lag er still.

2
    Seine Stieftöchter waren aufgeweckte Mädchen, die sich nichts vormachen ließen, und Edward X. Delaney, ehemals Chef der Kriminalpolizei, genoß ihre Gesellschaft beim Lunch. Er liebte die beiden von ganzem Herzen, doch ihre jugendliche Energie konnte einen weiß Gott ermüden. Ihr schrilles Lachen tat seinen Ohren weh.
    Nachdem er sich vor ihrer Privatschule in Manhattan mit einem liebevollen Kuß von ihnen verabschiedet hatte, sah er sie mit einer Mischung aus Zärtlichkeit und Erleichterung die Treppe hinaufhüpfen und in der Schule verschwinden. Dort waren sie sicher aufgehoben. Er gestand sich ein, daß er in seinem Alter nur noch wünschte, alles möge so sein, ‹wie es sich gehört›. Darunter verstand er Ruhe, Sauberkeit und Ordnung. Vielleicht hatte Barbara, seine erste Frau, doch recht, als sie behauptet hatte, er sei nur deshalb Polizist geworden, weil er Ordnung schön finde und darauf bedacht sei, der Welt die Ordnung zu erhalten. Nun … er hatte es versucht.
    Er ging zur Fifth Avenue hinüber und wandte sich, die schrillen Kinderstimmen noch im Ohr, nach Süden. Es verlangte ihn in diesem Augenblick nach einer altmodischen irischen Bar: gedämpftes Licht, gedämpfte Stimmen, viel Mahagoni, mit Stoff bezogene Lampenschirme, geeiste Gläser und hundertjähriger Bierdunst. Solche Lokale gab es immer noch in New York. Es wurden zwar von Jahr zu Jahr weniger, aber es gab noch welche. Nur leider nicht an der oberen Fifth Avenue. Dafür gab es etwas anderes, etwas, wo es ruhig, sauber und ordentlich zuging - wie es sich gehörte …
    Der Innenhof der Frick Galerie war eine Oase, ein Ort der Stille in der dröhnenden, lärmenden Stadt. Auf den blanken Steinbänken inmitten üppigen Buschwerks saß man wie in einem riesigen Terrarium im Auge des Orkans. Ringsum tobten Häßlichkeit und Gewalt, hier drinnen jedoch war es still, und man konnte ungestört seinen Gedanken nachhängen.
    Er verweilte dort lange, änderte auf der harten Bank bisweilen seine Sitzposition und sann wieder einmal darüber nach, ob es wohl richtig gewesen war, vorzeitig in Pension zu gehen. Er hatte eine hohe, verantwortungsvolle Stellung mit großer Machtfülle aufgegeben; er war Chief der New Yorker Kriminalpolizei gewesen.

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