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Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann

Titel: Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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gestört. Manchmal fraß der Gabenhunger an mir, wie ein Geschwür gesundes Fleisch verzehrt. Andermal erschöpfte er sich in ein paar Nächten mit sehnsuchtsvollen, lebendigen Träumen. Mit Harm als Ablenkung und Gesellschaft wäre es mir vielleicht möglich gewesen, dem unablässigen Drängen der Gabe zu widerstehen, doch allein, ohne Ablenkung, hatte ich am gestrigen Abend dem ungestillten Verlangen nachgegeben, das von solchen Träumen aufgestört wurde. Ich war hinuntergegangen zu den Klippen am Meer, hatte mich auf die Bank gesetzt, von Harm für mich gezimmert, und die Gabe wie eine suchende Hand über die Wellen gestreckt. Der Wolf hatte eine Zeitlang neben mir gesessen, einen alten Vorwurf im Blick. Ich bemühte mich, ihn zu ignorieren. »Auch nicht schlimmer, als deine Marotte, Stachelschweine zu ärgern«, gab ich ihm zu bedenken.
    Nur, dass man deren Stacheln herausziehen kann. Was dich sticht, bohrt sich immer tiefer hinein und eitert. Seine tiefen Augen schauten an meinen vorbei, während er mir ohne falsche Rücksicht seine Meinung übermittelte.
    Warum gehst du nicht Kaninchen jagen?
    Du hast den Jungen und seinen Bogen fortgeschickt.
    Du könntest selbst eins fangen. Wie früher.
    Früher haben wir gemeinsam gejagt. Warum tun wir nicht das, statt dieses fruchtlosen Suchens? Wann wirst du begreifen, dass da draußen keiner ist, der dich hören kann?
    Ich muss es eben – versuchen.
    Warum? Genügt dir meine Gesellschaft nicht?
    Doch, sie genügt mir bei weitem. Sie hat mir immer genügt. Ich öffnete mich weiter der Alten Macht, die wir beide teilten, und versuchte ihn fühlen zu lassen, wie die Gabe an mir zerrte. Es ist die Magie, die will, dass ich sie gebrauche, nicht ich.
    Tu es weg. Ich will das nicht sehen. Und als ich diesen Teil meines Selbst vor ihm verschlossen hatte, fragte er bekümmert: Wird sie uns nie in Ruhe lassen?
    Ich konnte ihm keine Antwort geben. Nach einer Weile legte der Wolf sich hin, bettete den großen Schädel auf seine Pfoten und machte die Augen zu. Ich wusste, er würde bei mir bleiben, weil er Angst um mich hatte. Zweimal im vorletzten Winter hatte ich im Übermaß von der Gabe Gebrauch gemacht und in diesem mentalen Prozess die Kraft meines Körpers verbrannt, bis ich nicht einmal mehr in der Lage gewesen war, mich zum Haus zurückzuschleppen. Beide Male hatte Nachtauge Harm holen müssen. Diesmal waren wir allein.
    Dabei wusste ich, mein Tun war dumm und sinnlos. Wusste gleichzeitig, ich konnte es nicht lassen. Wie ein Hungers Sterbender, der Gras frisst, um die heulende Leere in seinem Bauch zu füllen, so griff ich mit der Gabe hinaus, berührte die Leben innerhalb meiner Reichweite. Ich konnte ihre Gedanken spüren und vorübergehend das mächtige Verlangen stillen, meine Leere füllen. Ich hatte Teil am Tun der Fischersfamilie, die draußen auf dem Meer bei starkem Wind ihre Netze auswarf. Ich teilte flüchtig die Bedenken eines Kapitäns, dessen Fracht um ein Weniges schwerer war, als sein Schiff gefahrlos tragen konnte. Die Maatin auf demselben Schiff sorgte sich wegen des Mannes, den ihre Tochter heiraten wollte; ein Nichtsnutz war er, trotz seiner schönen Worte. Der Schiffsjunge verfluchte sein Pech, dass sie wieder einmal zu spät nach Burgstadt kamen, um beim Frühlingsfest mitzufeiern. Wenn sie endlich einliefen, war der Spaß vorbei, und in der Gosse lagen nur noch welke Girlanden. Immer passierte ihm das.
    Diese Erfahrungen aus zweiter Hand stellten eine kümmerliche Ablenkung dar. Sie machten mir bewusst, dass die Welt größer war als die vier Wände meines Hauses, größer sogar als die Fläche meines Gartens, doch es war nicht dasselbe wie der wahre Gebrauch der Gabe, in keiner Weise vergleichbar mit diesem Augenblick des Einsseins, wenn Bewusstseine verschmolzen und man die Welt als ein großes Ganzes erfuhr, in welchem der eigene Körper nicht mehr war als ein Körnchen Staub.
    Die energischen Zähne des Wolfs am Handgelenk brachten mich jäh zurück von meinem Nachspüren in der Ferne. Komm jetzt. Das ist genug. Wenn dich hier unten die Kräfte verlassen, hast du eine feuchte Nacht vor dir. Ich bin nicht der Junge, dass ich dich auf die Füße stellen kann. Also komm jetzt.
    Als ich aufstand, wurde mir für einen Moment schwarz vor Augen. Diese Schwärze verging wieder, nicht aber der Schatten auf meiner Seele. Ich war hinter dem Wolf durch die tiefer werdende Dunkelheit unter den tropfenden Bäumen gestapft, zurück zum Haus, wo das Feuer im

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