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Dieses Buch gehört meiner Mutter

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Titel: Dieses Buch gehört meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Hackl
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Prozession anführte.
    Mit der dünnen Nase,
    dem stechenden Blick
    und dem schütteren Haar
    [31]  über der fliehenden Stirn
    sah er eher nicht aus wie Jesus,
    im Unterschied zum heiteren Kooperator,
    der alsbald versetzt wurde
    wegen des schädlichen Einflusses
    der weiblichen Dorfjugend
    auf sein christliches Gemüt.
    Weidinger blieb bis zu seiner Pensionierung
    und keinen Tag länger,
    gottlob.
    [32]  Aber der jähzornige Provisor,
    der ihm nachfolgte,
    war um nichts besser.
    In der Religionsstunde nahm er
    den Kindsmord von Bethlehem durch,
    und die Pointner Nandl rief hinaus,
    der Herodes hat das Jesuskind abgestochen.
    Wie wir Bauernkinder halt redeten:
    derb, vorlaut, aber ohne Hintergedanken.
    Daraufhin schlug er ihr mit aller Kraft ins Gesicht.
    Das Wutmal seiner Hand war lange zu sehen.
    Zu mir war er freundlich.
    Er erzählte mir von Gott in der Natur.
    Er schenkte mir sogar ein Buch.
    Besser, er hätte mich auch geschlagen
    oder an den Zöpfen aus der Bank gezerrt.
    Dann wäre mir keine andere Wahl geblieben,
    als mich zu den Geschlagenen zu bekennen.
    So aber war ich freundlich zu ihm.
    Ich hörte ihm zu, wenn er von Gott in der Natur erzählte.
    Das Buch, das er mir geschenkt hatte,
    gab ich meiner Mutter zum Lesen.
    [33]  Rudinger, der nach ihm kam,
    war gutmütig, trinkfest, etwas leger.
    Er züchtete Tauben, zartes Fleisch
    gegen die Versuchungen des Fleisches,
    und lachte nur, wenn man ihn
    im Wirtshauseifer versehentlich duzte.
    Er nahm alles auf die leichte Schulter.
    Auch später die Politik, im Gegensatz
    zum Pfarrer von Gutau, der einem Arzt
    angeblich Kutsche und Roß verweigerte.
    Der Pfarrer kam wegen Heimtücke ins kz.
    Die Bauern waren unschlüssig,
    für wen sie Partei ergreifen sollten.
    Einerseits der Glaube, dem sie anhingen,
    andererseits die verwehrte Hilfe,
    die ihnen schadete. Kam der Doktor nicht,
    war es im Notfall um Vieh und Frau geschehen.
    Insgeheim hielten sie zum Arzt,
    beteten aber einen Rosenkranz für den Pfarrer.
    Das half, wie sie meinten, weil er überlebte.
    [34]  Die zwei, die immer gemeinsam kamen:
    damit wir uns früh daran gewöhnten,
    Gaben zitternd entgegenzunehmen.
    Lange vorher lud ich die Gendarmen ein.
    Sie taten mir den Gefallen.
    Ich setzte mich mitten unter sie,
    wo ich in Sicherheit war.
    Mein Bruder kroch unter die Bank,
    spannte sein Bolzengewehr
    und schoß auf die beiden.
    Während sich der eine bückte,
    sprang er dem andern hinten auf die Butte.
    Einmal nahmen sie unsere Dirn mit,
    die sich zum Schein heftig wehrte.
    Sie zerrten sie in Strümpfen hinaus in den Schnee.
    Ich schrie so lange, bis mir die Luft wegblieb.
    Ich glaubte auch dann noch an sie,
    als mir auffiel, daß der Nikolaus
    die Stellnbergerstiefel anhatte
    und der Krampus böhmakelte
    wie der Schneider und seine Frau.
    Sie kamen immer zu zweit:
    um den Kindern die Freude
    mit Furcht einzubleuen.
    [35]  Schlitten fahren.
    Die jungen Katzen im Korbwagen spazierenfahren.
    Auf dem Jahrmarkt mit dem Ringelspiel fahren.
    Ein Rehkitz mit der Flasche aufziehen.
    Das Roß striegeln.
    Der alten Einlegerin die weißen Haare kämmen.
    Von der Störschneiderin ein Märchen erzählt bekommen.
    Dem Edi beim Faxenmachen zuschauen.
    Den Schaum vom Bierglas schlecken.
    Auf dem Dachboden alte Bücher finden.
    Neben dem Fluder kleine Wasserräder laufen lassen.
    Beim Brotbacken helfen.
    Aufs Christkind warten.
    Ans Christkind glauben (ein Mädchen wie ich, nur blond).
    Das Christkind sehen (einen Zipfel seines himmelblauen Nachthemds).
    Wenn es regnet, trocken bleiben.
    Zum Essen sich Zeit nehmen dürfen.
    Früh ins Bett gehen dürfen.
    Beten.
    Einen Schutzengel haben.
    Ein gutes Wort hören.
    Sich freuen.
    [36]  In der Christnacht redet das Vieh.
    Das war so gewiß wie das Amen im Gebet.
    Einmal schlich ich um Mitternacht,
    meine Geschwister waren in der Mette,
    die Mutter rumorte noch in der Küche,
    im Nachthemd hinaus in den Stall.
    Als ich die Tür leise aufschob,
    hörte ich sie wispern, die Kühe.
    Ein Kalb sang sogar, aber falsch.
    [37]  Der Pascherbäck brachte das Brot
    im Buckelkorb und auf Skiern.
    Manchmal war es vereist,
    dann hatte er einen Stern gerissen.
    Manchmal war es verkohlt,
    dann hatte er während der Arbeit geschlafen.
    Manchmal war ein Zahn eingebacken,
    dann hatte er beim Kneten einen verloren.
    Manchmal war Erbrochenes drin,
    dann hatte er in den Teig gespien.
    [38]  Die Bälle dauerten von Samstag bis Mittwoch.
    Die Gäste schliefen zwischendurch ein paar Stunden,

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