Dolce Vita, süßer Tod: Kriminalroman (Inspektor Stucky) (German Edition)
Gentili?«
»Wir verkaufen Haushaltswaren aus Glas.«
Brav notierte Stucky noch all die anderen Einzelheiten, die die Frau ihm mitteilte. Sie sang ein Loblied auf den Pitbull ihres Verlobten, der sie sicherlich beschützt hätte, und sagte, wie sehr sie es bedauerte, dass sie heute die Stiefel mit den hohen Absätzen trug, die ihrem Sturz Vorschub geleistet hätten. Dann berichtete sie, dass sie sich oft beobachtet fühlte, auch wenn sie zur Bank oder zur Post ging oder auch in der Kirche. Man beobachtet mich, seufzte sie und sog die Wangen ein, als wollte sie sich vor lauter Eigenliebe selbst einen Kuss geben. Während Stucky sie aus dem Büro gehen sah, griff er nach der kleinen Schokoladenpraline und hielt sie zwischen den Fingern fest. Das Stanniolpapier wirkte einladend. Er wickelte die Leckerei aus und dachte dabei, dass er selbst noch nie eine solche Praline bekommen oder verschenkt hatte, dass er überhaupt noch nie das Bedürfnis verspürt hatte, Pralinen zu verschenken, vielleicht manchmal Rumkugeln aus Cuneo, wegen ihres Dufts und ihrer Größe, ebensolche Ungetüme wie manche der mit Schlagsahne aufgemotzten Gianduja-Kompositionen, die er sich einst als Student in Venedig, an den Zattere, unterwegs gekauft und gegönnt hatte. Er nahm also die schlicht und ergreifend Bacio , also »Kuss«, genannte Schokopraline aus ihrer Hülle und legte sie auf ein Tellerchen; dann strich er über das rechteckige Stück Stanniolpapier und glättete vorsichtig den schmalen Papierstreifen darüber, auf den ein kleiner Spruch gedruckt war.
Die den attackierten Verkäuferinnen zugedachten »Küsse« hatte Stucky untersuchen lassen, und die Analysen hatten ergeben, dass es sich tatsächlich um die Original-Schokoladenpralinen handelte, bestehend aus Kakaomasse, Haselnüssen, Zucker, und das alles im richtigen Maß. Nicht dass sie unbedingt Gift hätten enthalten müssen, das nicht. Warum sollte jemand eine andere Person überfallen, ihr einen vergifteten Bacio in die Tasche schieben und hoffen, dass er verzehrt wurde? Der Inspektor hatte das Konfekt eigentlich nur ins Labor geschickt, um den Kollegen dort ein Trostpflästerchen zukommen zu lassen. Ja, nur deswegen.
Was sollte also diese Praline? Was bedeutete sie? Stucky biss hinein. Nichts Besonderes, süß, angenehmer Geschmack. Gewiss nicht ausreichend, um den Gedanken nahezulegen, dass es sich um den Ausdruck eines amourösen Problems handeln könne und dass hinter diesen Attacken zum Beispiel ein übergeschnappter Verehrer stand. Nicht im Traum wäre er auf die Idee verfallen, dass hier Liebe oder Leidenschaft im Spiel sein könnten.
Verkäuferinnen, seufzte Stucky.
Der Inspektor konnte sich an keine Fälle von Belästigungen aus der Vergangenheit erinnern. Attacken und Bedrohungen waren Martinis Spezialität gewesen.
Innerhalb von zwei Tagen hatte der ihm nicht nur zentnerweise Trauer hinterlassen, sondern auch seinen ganzen Aktenkram. Stucky ging in das noch unbesetzte Büro des Kollegen und öffnete die Schubladen fast so, als müsste er eine Grabplatte hochheben. Am Rand der ersten Schublade stand, mit schwarzem Filzstift geschrieben, Martinis Motto: Ich komme, wenn ich komme, aber wenn ich komme, dann komme ich , und auf dem gelben Ordner las er, ebenfalls mit Filzstift geschrieben, die Aufschrift Verkäuferinnen , und auch hier zwinkerte ihm der Kollege in Gestalt dieser für ihn so typischen flatternden Buchstaben zu. Beim Gedanken an ihn huschte Stucky ein Lächeln übers Gesicht.
»Immer nur Profile von den Verbrechern anfertigen! Wir bräuchten sie en face , also von vorn, denn das Problem besteht darin, ihnen nicht ins Gesicht schauen zu können!«
»Und von mir, was für ein Profil würdest du von mir erstellen, Martini?«
»So eine Art Firma Glück & Gespür.«
»Auch Fleming hat das Penicillin nur durch einen Glücksfall entdeckt, und darüber beschwert sich kein Mensch. Na ja, was soll’s? Jedenfalls, was meinst du: mehr Glück oder mehr Gespür?«
»Der Anteil an Gespür ist eher gering.«
Der Ordner enthielt nicht viel: Vier Verkäuferinnen hatten Anzeige erstattet, weil sie in ihren Geschäften Drohanrufe erhalten hatten.
Der Inspektor notierte sich die Adressen. Am Telefon stellte er klar, dass er nicht der Belästiger sei, sondern vom Polizeipräsidium komme und dass er den Betreffenden in Kürze einen Besuch abstatten werde.
Er begann mit einem Krawattenladen im Vicolo Barberia. Die Verkäuferin war eine junge Frau mit knallroten
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