Dolly - 12 - Die juegste Burgmoewe
ich ein schlechtes Gewissen. Hätte eine so schöne Wohnung nicht eher Fräulein Pott zugestanden? Als Vorsteherin des Nordturms?“
„Darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ich habe das noch vor den Ferien mit Fräulein Pott so abgesprochen. Sie hat meinen Vorschlag sehr befürwortet, bedeutet es doch für sie eine Entlastung, wenn Sie hier im Nordturm wohnen und für die Mädchen auch nachts erreichbar sind. Fräulein Pott ist alleinstehend und fühlt sich in ihrer vertrauten Umgebung am wohlsten. Außerdem haben wir bei dieser Gelegenheit auch Fräulein Potts Zimmer renoviert und mit einem ganz modernen Badezimmer versehen.“
„Dann bin ich beruhigt. Ich möchte nicht bei den älteren Lehrern Neid erregen, weil mir Dinge zufallen, auf die sie verzichten müssen.“
„Sie als Hausmutter tragen mehr als die doppelte Arbeitslast, Dolly, vergessen Sie das nicht. Außerdem sind Sie zu zweit. Aber jetzt will ich Sie nicht länger stören, Sie werden sich erst einmal einrichten wollen. Ich würde mich freuen, wenn Sie beide später mit mir zu Abend essen würden.“
„Oh, sehr gerne! Wir haben leider noch gar nichts eingekauft“, sagte Dolly mit einem bedauernden Achselzucken, „sonst müßten Sie heute abend unser Gast sein!“
„Das holen wir später einmal nach. Ich erwarte Sie drüben um acht Uhr. Einverstanden?“
„Wir werden pünktlich zur Stelle sein, Frau Direktor!“ Klaus hängte sich bei seiner Frau ein. „Haben Sie herzlichen Dank für die Einladung – und für diesen reizenden Empfang!“
Als die Direktorin gegangen war, traten sie ans Fenster und schauten hinaus über die Klippen aufs Meer.
„Eine wunderbare Frau“, sagte Dolly nach einer Weile leise. „Ich habe vom ersten Tag an gewünscht, einmal zu werden wie sie.“
„Vom ersten Tag an?“
„Von dem Tag an, an dem ich sie zum erstenmal sah und sprechen hörte“, verbesserte sich Dolly. „Weißt du nicht, daß sie die Neuen am ersten Schultag zu sich holt und zu ihnen spricht? Sie sagt immer das Gleiche – und ich habe es mir oft unter einem Vorwand noch einmal mit angehört.“
„So? Was sagt sie den Mädchen denn?“
„Ich kann es dir fast wörtlich wiedergeben. Sie schaut einen mit ihren ausdrucksvollen Augen lange an, jeden einzeln – als wolle sie in einem lesen – und dann spricht sie. Du, das ist wundervoll, zum Gänsehautkriegen, wenn sie mit ihrer warmen, dunklen Stimme beginnt! ,Ihr werdet auf dieser Schule viel lernen können. Seht, daß auch ihr der Schule viel zurückgebt. Wenn ihr eines Tages Möwenfels verlaßt, dann solltet ihr einen hellen Verstand und ein freundliches Herz mit euch nehmen. Ihr solltet euch als Menschen erweisen, die man liebt und denen man vertraut. Ich halte es nicht für das Wichtigste, daß ihr Wissen erlangt und das Examen besteht. Obgleich das natürlich gut ist. Aber unser Stolz sind die Schülerinnen, die gelernt haben, freundlich und hilfsbereit zu sein und Menschen zu werden, auf die in jeder Beziehung Verlaß ist. Wenn ihr später glücklich werden wollt, müßt ihr lernen, andere glücklich zu machen. Ist das nicht schön?“
„Hm. Schade…“
„Was ist schade?“
„Daß sie es nicht auch den Lehrern sagt, die nach Möwenfels kommen. Ich zum Beispiel würde es gern hören. Abgesehen davon“, fügte Klaus schmunzelnd hinzu, „kenne ich da einige, denen diese Predigt ganz gut bekommen würde.“
„Da hast du leider recht. Aber wir wollen uns durch sie nicht beirren lassen. Wer weiß, wie viele Enttäuschungen sie im Leben haben einstecken müssen, daß sie so geworden sind.“
„Meine kluge Frau! Du hast recht. Wir werden versuchen, von unserem Reichtum an Liebe und Glück so viel zu verschenken, daß es auch die größten Sauertöpfe anstecken muß. Aber nun sollten wir mit dem Einrichten beginnen, mein Liebling. Die Möbel sind noch in einer der Garagen drüben neben den Ställen. Wenn wir nicht bald anfangen, müssen wir heute nacht auf dem Fußboden schlafen.“
Ein fröhlicher Möwenschwarm
Drei Tage hatten sie Zeit, ihre kleine Wohnung einzurichten. Dann wurde es Zeit für Dolly, sich auf die Ankunft ihrer Schützlinge vorzubereiten. Das Herrichten der Zimmer, das Beziehen der Betten mußte überwacht werden, Schränke und Kommoden überprüft, ob sie sauber und mit frischem Papier ausgelegt waren, und tausenderlei Kleinigkeiten mußten bedacht werden.
Auf Dollys Schreibtisch lagen Listen mit den Namen aller Mädchen, die in den Nordturm einziehen würden,
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