Don Fernando erbt Amerika
blickte suchend in den Saal, entdeckte den Bürgermeister, stieß die Türen ganz auf und ging hinein. Der Mann klirrte ungewöhnlich laut. Das kam von der Rüstung, die er anhatte, dem Schwert, das an seiner Seite hing, und dem Visier, das offensichtlich dazu neigte, immer wieder herunterzuklappen. Zehn bis zwölf ziemlich große Ritter folgten ihm, ebenso klirrend, sie sagten zu ihrem Anführer irgendetwas, das sich für Kathrins Ohren nur entfernt wie Deutsch anhörte, der erste Ritter nickte und zeigte auf den Bürgermeister. Darauf traten zwei von ihnen vor, nahmen den Bürgermeister in die Mitte und schleppten ihn aus dem Saal. Der Anführer machte eine etwas steife Verbeugung vor Kathrin, winkte den Russen zu und folgte seinen Leuten, die den strampelnden Bürgermeister eben die Treppe hinunterschafften – und zwar, wenn man dem rhythmischen Bumm Bumm Bumm trauen konnte, mit dem Kopf nach unten. Die russische Delegation klatschte begeistert, Kathrin schoss ein Foto nach dem anderen und der Dolmetscher hob beide Daumen, um seine Anerkennung auszudrücken, als er durch das offene Fenster sah, wie man den Bürgermeister an den Schweif eines der wartenden Pferde band. Kathrin freute sich. Nun hatte die Stadt sich ausnahmsweise etwas einfallen lassen, und ihr Artikel würde bestimmt erscheinen, wenn auch nur auf der Lokalseite. Zufrieden schaltete sie die Kamera aus und kam mit Igor ins Gespräch, als sie zusammen mit der Delegation den Raum verließ.Die Russen verstanden alle ziemlich gut Deutsch, weswegen der Dolmetscher zunächst beleidigt war, sich aber wieder aufheitern ließ, da sich alle über das gelungene Ende des Empfangs freuten und Igor den Dolmetscher und Kathrin zum Frühstück einlud. ›Doch kein so mieser Tag‹, dachte sie erheitert, als sie in die kalte Januarluft hinaustrat und auf die Stadt hinabsah.
2
Das Adjektiv, das Christoph beim Aufwachen bei noch geschlossenen Augen durch den Kopf schwirrte, war »grauenvoll«. Interessanterweise sah er es gedruckt vor seinem inneren Auge, samt Ausrufezeichen. Das Wort war offensichtlich auf der Suche nach einem Hauptwort. Christoph wollte es nicht aufhalten – er wollte schlafen. Aber es schien, als ob das »grauenvoll« beim Durchsuchen seines Kopfes einen ziemlichen Lärm machte. Es zischte unzufrieden, als es die Worte »Nacht«, »Besäufnis«, »Musik«, »Kneipe« und »körperlicher Zustand« auf ihre Tauglichkeit prüfte. Dann klapperte es mit dem Ausrufezeichen an irgendwelchen Eisenstäben entlang, was einen schrecklichen Lärm ergab. Christoph wollte dem Wort helfen und bot geistesgegenwärtig »Lärm« an. Der Erfolg war, dass sich das »grauenvoll« wütend im Kreis zu drehen begann und Christoph schlecht wurde.
Ziemlich schlecht.
Nahezu – aber nicht ganz – grauenvoll schlecht.
Christoph riss die Augen auf, stand vom Boden auf, wo er offenbar geschlafen hatte, und tastete sich über Bébé hinweg, der auch auf dem Boden lag, zum Klo. Als er es nicht fand, merkte er, dass er nicht in seiner eigenen Wohnung war. Er drückte eine Tür auf und sah eine Frau, die eben Eier und Kaffee kochte und mit einem Schneebesen auf den Töpfen Schlagzeug spielte.
Sie sah Christoph, grinste ihn an und sagte fröhlich: »Guten Morgen! Na, wieder fit?«
Christoph sah sie blicklos an, probierte kurz, ob die Wörter »fit« oder »Morgen« zu »grauenvoll« passten, kam zu einem schmerzhaft negativen Ergebnis und krächzte: »Klo?«
»Hier lang, Junge«, sagte die Frau fröhlich und öffnete die Tür gegenüber. Christoph wankte in ein rosafarbenes Bad, das keine heilende Wirkung auf seine Übelkeit hatte, erwog kurz, sich zu übergeben, entschied sich dagegen und begann, viel Wasser zu trinken. Das schien zu helfen. Als allerdings die Übelkeit nachließ, drängte sich die Erinnerung an den vergangenen Abend in sein Gedächtnis, weigerte sich jedoch beleidigt, ihn darüber aufzuklären, in wessen Wohnung er sich befand und wer die junge Frau in der Küche war. Das sah alles gar nicht gut aus. Dieser Tag begann nicht schön. Christoph sah in den Spiegel und konnte förmlich spüren, wie sich das Wort »grauenvoll« mit befriedigtem Klicken an das Wort »Tag« anhängte. Das sollte offensichtlich eine dauerhafte Beziehung werden.
Und dann übergab er sich doch.
Auf dem Hauptmarkt war der Betrieb zu dieser Vormittagsstunde eher mäßig. Im Januar lassen die Touristenströme immer stark nach – und der Obstmarkt ist nicht von so berauschender
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