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Dorfpunks (German Edition)

Dorfpunks (German Edition)

Titel: Dorfpunks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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DOG-GOD. Gott ist ein Hund. Die Familie ist der Urquell alles Schlechten, hier wird das Gute, Freie im Menschen verschüttet, hier wird der Mensch an den Leviathan gefesselt. Lass deinen Hass zu, mein Junge, pflege deinen Hass, er ist nicht nur ein negatives Gefühl, sondern auch ein unendlicher Energiequell. Nutze diese Energie für dich, setze sie konstruktiv ein, dein Hass unterscheidet dich von den anderen.
    Ich: Aha, wie meinen Sie das denn?
    Er: Du sollst ihnen nicht glauben. Du musst die Bedeutung der Wörter lernen. Ich sehe, dass du anders bist als die anderen, du siehst nicht aus wie sie.
    Ich: Ja, ich steh auf AC/DC.
    Er: Hä?
    Ich: AC/DC und KISS. Das sind die derbsten Hardrockbands. Die spielen die voll geilen Solos. Die sind auch anders als die anderen. Da kriegt man voll den Hass von.
    Er: Kenn ich nicht. Du musst jedenfalls auf die Stimmen hören. Keiner darf dich zu irgendwas zwingen. Diese Welt ist bereits kaputt, lass nicht zu, dass sie dich berührt. Flieh aus der Familie, such die Freiheit im Verstand, du musst –
    Ich: Okay, mach ich, alles klar, also erst mal denn … also tschüs, nä …
     
    Ich wusste nicht genau, was er von mir wollte. Er kam mir ein wenig überspiritualisiert vor, aber irgendwie imponierte er mir auch. Er strahlte ein sonderbares inneres Glühen aus, und etwas von dem Hunger nach Worten und deren Bedeutung habe ich von ihm übernommen. Später erfuhr ich, dass er viel mit Drogen experimentierte, und ich ärgerte mich, davon nicht früher erfahren zu haben.
    Er hatte auch eine Tochter, die er dem Volk der Inka zu Ehren Inka genannt hatte. Auch sie nahm gerne Drogen, und zwar so gerne, dass sie Probleme damit bekam. Nachdem John uns verlassen hatte, bat er meine Eltern eines Tages, Inka für einige Zeit bei uns aufzunehmen, sie wolle freiwillig entziehen und müsse aus diesem Grund unbedingt von der Großstadt fern gehalten werden. Wegen welcher Drogen genau sie entziehen musste, weiß ich nicht mehr, ich glaube aber, dass sie auf allen möglichen Sachen rumgondelte. Auf jeden Fall hatte sie Gelbsucht.
    Inka war eine Spitzentype, und mein Bruder und ich verstanden uns blendend mit ihr. Sie war nicht allzu groß, ein bisschen stämmig und hatte leicht indianische Züge, da ihre Mutter aus Guatemala stammte. Sie war sehr lustig, und wir konnten uns vorzüglich gegenseitig nerven. Mit meiner Mutter zusammen bemalte sie Bauernmöbel und Türblätter mit paradiesischen Szenerien. Also eigentlich immer wieder mit demselben Motiv, Adam und Eva vor dem Baum der Erkenntnis. Eva hielt den Apfel in der Hand, und Adam hatte ein grotesk großes Geschlechtsteil. Auf allen Bildern. Auf Bauernmöbeln. Vielleicht war das ja Ausdruck ihrer Einsamkeit und Sehnsucht. Während die Erwachsenen das Motiv als «total natürlich» bezeichneten, fand ich es irgendwie säuisch, was Freunde und Bekannte meiner Eltern aber nicht davon abhielt, ihre Resthöfe ebenfalls mit paradiesischen Schwanzbildern zu versehen.
    Natürlich hielt Inka ihren Drogenentzug nur kurz durch, bald dachte sie sich Tricks aus, wie sie die sacklangweilige Zeit auf dem Dorf besser bewältigen konnte. Sie bekam regelmäßig Post aus Hamburg von ihren Hippiefreunden. Irgendwann kam sie auf die Idee, sich einfach auf diesem Weg mit Trips versorgen zu lassen, und von da an kamen mit jedem Brief einige kleine Blättchen Löschpapier, die mit Lysergsäurediäthylamid getränkt waren, unbemerkt zu uns in Haus geflattert. Abends ging Inka auf große Reise. Wir bekamen davon nichts mit, dabei war ihr manchmal jäh erwachendes geierhaftes Interesse an Süßigkeiten ein deutliches Zeichen, aber davon wussten ich und mein Bruder nichts. Wir versorgten sie mit Mars und Raider, für uns ebenfalls braunes Gold. Dann hing sie in ihrem Zimmer stundenlang mit schrägen Augen auf dem Bett rum und hörte Kraftwerk. Das mochte sie gerne. Sie behauptete, zur Kraftwerk-Clique zu gehören und sogar bei denen gewohnt zu haben. Ständig spielte sie mir deren Platten vor. Eines Nachts kam Inka nach Einnahme ihres Löschpapiers auf einen Horrortrip. Meine Eltern waren nicht da, sie waren ausgegangen. Inka verwandelte sich in verschiedene Tiere. Die ganze Nacht krabbelte sie auf allen vieren durch das riesige Bauernhaus, miaute und bellte und muhte. Sie hatte vergessen, wer sie war, und durchwanderte nun die verschiedensten Tierformen auf der Suche nach sich selbst. Niemand konnte ihr helfen, denn außer uns war niemand da. Um neun gehen bei uns im Dorf

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