Dorfpunks (German Edition)
muss Kopf hochnehm …
B: Ja, logisch.
A: Weissu, mir iss auch schon mal alles Mögliche passiert, ich hadde auch schon Pech.
B: In ech?
A: Ja logisch, Aller, ich hadde schonma was verloren oder so …
B: Ach ja … hm.
A: Weissu, ersma ein saufen!
B: Ja genau, Aller, ersma ein saufen, denn wird das schon.
A: Prost, du Sau!
B: Prost, hähähä …
Solche Gespräche schrieb ich heimlich mit und machte später Hörspiele draus.
Oder ich lehnte mein Gesicht gegen die Scheibe und betrachtete mein verzerrtes Spiegelbild, das mir ausgemergelt und depressiv entgegenstierte, wie ein Geist, der draußen am Zug klebte und sich nicht lösen konnte. Wäre ich nur er gewesen, ich wäre davongeflogen.
Die Berufsschule war genauso schlimm wie die richtige Schule gewesen; ein Willensbrecher, ein Leistungskompressor, ein Unterdrückungsapparat. An unserer Berufsschule gab es drei auszubildende Gruppen: die Schornis (Schornsteinfeger), die Kalunkis (Kachelofenbauer) und die Töpfer (Töpfer). Wir lebten während unseres zweiwöchigen Aufenthalts in kasernenähnlichen Bauten mit langen Fluren, die Mädchen im linken und die Jungs im rechten Flügel, im untersten Flur die Schornis, im mittleren die Kalunkis und ganz oben die Töpfer. Die Töpfer waren die am wenigsten angesehenen, da der Beruf als unhart und weibisch galt, was wohl damit zu tun hatte, dass in den Töpferklassen der Frauenanteil bei 60 bis 70 Prozent lag. Es war kein einfaches Dasein für uns männliche Töpfer. Zum Glück hatte ich ziemlich nette Mädchen und Jungs in meiner Klasse, und außerdem schaffte ich es schnell, durch meine zur Schau gestellte Härte und meinen mir angeborenen Wortwitz auch von den anderen Berufsschülern akzeptiert zu werden. Mit einem der Töpfer zog ich nachts durch Büsum und besprayte alles, was plan und sauber war. Punkgraffiti. Und Hakenkreuze, zur Warnung natürlich.
Wir lernten vor allem Theorie, über die Zusammensetzung der Stoffe, über die Elemente, Formeln zum Mischen von Glasuren und so weiter. Ich weiß nichts mehr davon, gar nichts. Ein an mich unnötig verschwendeter Wissensschatz. Abends wurde der Frust mit Bier runtergespült, und später flogen die Spinde durch die Flure, bis der Heimleiter, ein ehemaliger Boxer, den Stall zur Räson brachte.
Verfluchtes Büsum, noch toter als Schmalenstedt, warum wurden solche Städte überhaupt gebaut? Warum lebten Leute dort? Ja, merkten die denn nicht, dass man sie verarschen wollte? Städte wie Hamsterräder, um die Hamster beschäftigt zu halten, um Energie abzuzapfen für das mächtige, pumpende Herz der Gesellschaft, für den Ball der Löwen. Aber ich würde die Wahrheit schon noch offen legen, ich würde diesen Ball finden, ihn enttarnen und die Türen öffnen für alle Büsumer dieser Welt – nieder mit den Löwen!
Am Tag meiner Abschlussprüfung kamen meine Mutter und Maria mit dem Auto nach Büsum, um mich abzuholen. Ich bestand die praktische und die theoretische Prüfung mit einer 3 – ich war schließlich kein engagierter Töpfer –, und diese 3 reichte aus, sie war der Schlüssel in die Freiheit. Jetzt konnte meine Mutter nichts mehr sagen, ich war beschützt und gebrandmarkt: Hier Leute, diesem Mann kann nichts mehr passieren – er hat die 3 auf der Haut, er ist ein befriedigender Töpfer.
Als vor dem Schulgebäude die kalte Seeluft in meine Lunge drang, die Sonne in meine Augen stach und die beiden Frauen am Fuße der Treppe auf mich warteten, hätte ich vor Freude platzen können. Der Schritt aus dieser Tür war der Schritt in mein neues Leben, in mein eigentliches Leben, jetzt gehörte ich niemandem mehr! Ich war so glücklich, alles war klar, erst Büsum – jetzt die ganze Welt. Wir umarmten uns, ich küsste meine Freundin, dann setzten wir uns in den grünen Volvo, und Mutter lenkte uns ein letztes Mal heim nach Schmalenstedt.
Fine
Epilog
Auf dem Hof vor dem Haus meiner Kindheit steht ein Baum. Seine Äste und Zweige ragen weit über das Dach des Werkzeugschuppens hinaus. Es ist Nacht, ich stehe alleine auf dem Kies und schaue zu dem Baum hinauf. Durch seine kahlen Zweige scheint der Mond mir hell ins Gesicht. Die Nacht ist kalt und frisch. Etwas hat sich in den Zweigen des Baums verfangen. Es sind zwei Gestalten, die dort oben schweben, sie hängen wie dünne Ballons an Seilen, die an ihren Füßen befestigt sind und bis zu den Ästen herunterreichen. Die Gestalten sind lang und weiß, ihre Gesichter schmal und eingefallen,
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