Dornenkuss - Roman
nötig oder würde mich ihm gar aufdrängen. Nichts lag mir ferner als das. Colin nahm mir die Entscheidung ab, indem er mich auf seinen Schoß zog und seine Hand zwischen meine bloßen Beine legte. Mit meiner Zungenspitze streifte ich seinen Mundwinkel, mehr nicht, doch er erwiderte mein Herantasten mit einem unmissverständlichen und sehr männlichen Kuss.
»Du bist ja ein kleines Feuchtbiotop«, murmelte er dicht an meinem Ohr und meinte dabei nicht meinen Mund. Wir verharrten, ohne uns zu rühren, und drosselten unseren Atem, seiner kühl, meiner heiß, bis er bedauernd seine untätige Hand wieder zu sich nahm und ich mich aufgewühlt und mit vibrierenden Nerven neben ihm ins Stroh rollte. Wenn er mich so hundsgemein auflaufen ließ, um mich bloß nicht glücklich zu machen, war ihm das bestens gelungen.
»Was musstest du denn eigentlich noch erledigen?«, fragte ich, nachdem ich wieder den Weg zu meinem Kopf und damit auch zu meinem Denkzentrum gefunden hatte.
»Meinen Kater einschläfern lassen und ihn begraben.«
»Was?« Fassungslos richtete ich mich auf. »Du meinst doch nicht etwa …«
»Doch. Mister X. Mein guter, alter Zausel. Schlaganfall. Er lag eines Abends vor dem Haus, konnte seine Hinterläufe nicht mehr bewegen und hat vor Schmerzen geschrien. Eine Stunde später hielt ich ihn in meinen Armen und half ihm zu sterben.«
Eben noch hatte ich vor Erregung weder vorwärts noch rückwärts gewusst, jetzt schüttelte mich das Schluchzen, als würde unter uns die Erde beben. Mister X war nicht nur Colins Kater gewesen, sondern auch mein Kater. Seine Gegenwart hatte mich getröstet, wenn Colin nicht da gewesen war – und Colin war die meiste Zeit nicht da gewesen. Mister X hatte mich durch seine hochmütige Eleganz immer wieder erfreut und abgelenkt, ganz besonders dann, wenn sie sich mit jener drolligen Tapsigkeit, die selbst den stolzesten Katzen eigen war, vermischt hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er nicht mehr lebte, nie mehr durch Mamas Blumenbeete streifen, auf meinen Füßen schlafen, Weinkorken über die Fliesen jagen und panisch vor dem Geruch seiner eigenen Kacke wegrennen würde, sondern auf immer und ewig kalt und starr unter der Erde lag. Doch vor allem tat es mir leid für Colin. Die beiden hatten eine symbiotische Beziehung gepflegt.
Colin sah mich lange an und erwiderte meine Traurigkeit, nicht aber mein Weinen. Er konnte nicht weinen. Ich fragte mich, vor welchem Haus es geschehen war. Vor unserem oder vor seinem? Vermutlich vor seinem, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass Mister X sich freiwillig bei uns aufhielt, wenn sein heiß geliebtes Herrchen im Wald war. Dann ist es Tessa gewesen, dachte ich spontan und meine Trauer wurde von blankem Hass überdeckt. Ihr Einfluss hatte dem Kater den Garaus gemacht.
»Er hatte einen Herzfehler, schon die ganze Zeit. Dafür schlug er sich tapfer. Niemand hat Schuld, Ellie. Es geschieht, wie es bei all meinen Katern und Katzen bisher geschehen ist. Was glaubst du, warum er Mister X hieß? Und die kleine schwarze Madame Miss X?«
Ich wischte meine Tränen ab. »Weil es nicht die ersten waren, oder?«
»Ich hatte immer Katzen, mein Leben lang. Sie werden nun mal meistens nicht älter als zwanzig Jahre, in freier Wildbahn schaffen sie es kaum über fünfzehn hinaus. Er war der dreizehnte Mister X. Schöner und arroganter als die anderen, ja, aber ich wurde es irgendwann leid, mir neue Namen auszudenken, also – Mister X oder Miss X für jene Katzen, die auffällig stark meine Nähe suchten. Die anderen haben gar keine Namen.«
»Wo hast du ihn begraben?«
Colin griff um meinen erstarrten Nacken und zog mich behutsam zu sich. Nun konnte ich mich an ihn kuscheln, ohne Angst zu haben, aufdringlich zu werden. Der Gedanke, Mister X nicht mehr wiederzusehen, erstickte jegliches Begehren im Keim.
»Er liegt bei euch im Garten, an einem schönen schattigen Platz zwischen zwei Rosenbüschen. Bei mir hätte er keine Ruhe gefunden.«
Ein eisiger Schauer wanderte über meine Oberarme. Niemand würde in diesem Haus Ruhe finden, weder die Toten noch die Lebenden. Es war verflucht. Nur Colin zuliebe sprach ich nicht aus, wovon ich fest überzeugt war – dass Mister X noch leben würde, wenn Tessa dieses Haus nicht betreten hätte.
»Du warst bei uns? Hast du meine Mutter …?« Ich konnte meinen Satz nicht zu Ende führen. Meine Mutter … Wir hatten sie nach unserer Ankunft angerufen und gesagt, dass alles in Ordnung sei.
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