Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
Feuer lag ein zerschlissener Umhang ausgebreitet. Ein Wasserschlauch lehnte am Felsen. Und auf einem Stein in der Glut lag ein blutiger, länglicher Kadaver. Ein Murmeltier? Shaya erfasste all das binnen eines Herzschlags, und sie wusste, dass sie es war, die in die Falle gegangen war. Sie presste sich gegen den Fels, als der Schatten sich auf sie senkte. Dann traf sie ein Schlag in den Nacken.
D er Hirte und die Prinzessin
Shaya stürzte und wurde fest zu Boden gepresst. Sie spürte ein Knie in ihrem Nacken und schlug mit aller Kraft mit dem Stein, den sie in der Faust hielt, nach hinten. Sie traf. Der unsichtbare Angreifer heulte auf. Er war nicht sehr schwer. Shaya stemmte sich auf die Ellenbogen, schüttelte ihn ab, drehte sich blitzschnell um und schleuderte ihm den Stein ins Gesicht.
Der Hirtenjunge schrie auf. Der Stein hatte ihn auf der Nase getroffen. Shaya hörte es knacken. Dunkles Blut quoll aus der Nase. Sie musste gebrochen sein. Der Junge starrte sie entsetzt an. Er war höchstens sechzehn. Zarter Flaum spross um sein Kinn. Langes, dunkles Lockenhaar rahmte sein Gesicht.
Aus dem Tuchstreifen, den er als Gürtel um die Hüften gewickelt hatte, ragte ein mit Leder umwickelter Griff. Shaya zog die Waffe, bevor der Hirte wieder zu sich kam und etwas Unbedachtes tun konnte. Die Klinge war aus Knochen gefertigt. Sie musste lachen, als sie dieses lächerliche Messer sah, und entspannte sich.
Kaum dass die Gefahr vorüber war, meldeten sich ihre geschundenen Knochen. Shaya hatte das Gefühl, sie könne kein einziges Glied mehr rühren. Erschöpft ließ sie sich gegen den Fels sinken und deutete mit dem Knochenmesser auf das Feuer. »Hol das Murmeltier von dem Stein, bevor es zu Kohle verbrennt.«
Der Junge gaffte sie an, als sei er nicht ganz bei Sinnen. Immer noch troff ihm Blut aus der Nase auf die Brust.
Shaya winkte mit dem Messer. »Hörst du mich?«
»Du bist ja eine Frau …«, stammelte der Hirte.
»Und du bist ein ausgezeichneter Beobachter. Ich beglückwünsche dich zu deinem Scharfsinn. Und nun nimm das Murmeltier aus den Flammen!«
Er gaffte sie noch immer an, und Shaya fiel auf, dass er ihr nicht ins Gesicht sah. Sie tastete nach ihrer Tunika. Der Saum am Hals ausschnitt war tief eingerissen und gewährte vermutlich beste Einblicke.
»Wer bist du?«
»Wie du schon sagtest, eine Frau. Und ich hasse Feuerpriester, die unschuldige Murmeltiere zu Asche verbrennen.«
Der Junge runzelte die Stirn, dann begriff er. Mit zwei dünnen Stöcken hob er das hagere Tier von dem heißen Stein.
»Hierhin!« Shaya deutete auf die Decke, die sie vom Boden aufgehoben und sich über den Schoß gezogen hatte.
»Das ist nicht sauber …«
»Egal!«
Der Hirte gehorchte. Er erweckte nicht den Eindruck, als wolle er sie noch einmal angreifen. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, tastete Shaya nach dem Wasserschlauch, zog den hölzernen Stöpsel und trank in gierigen, tiefen Schlucken.
»Wo ist deine Lederschlinge?«, fragte sie und verschloss den Wasserschlauch sorgfältig.
Der Junge glotze sie weiterhin an.
»Erzähl mir nicht, dass das Murmeltier sich vor lauter Zuvorkommenheit in dein Knochenmesser gestürzt hat. Wo ist deine Schleuder? Zeig sie mir, oder ich brat dich auf dem heißen Stein.«
Er machte ein Gesicht, als würde er ihr das tatsächlich zutrauen. Hastig griff er hinter seinen Rücken und löste die Lederschlinge von dem ausgefransten Stoffstreifen, der ihm als Gürtel diente. Er warf ihr die Schleuder vor die Füße.
»Auch den Beutel mit den Steinen«, befahl sie und tastete mit spitzen Fingern nach dem Murmeltier.
Er gehorchte und warf ihr einen dunklen Lederbeutel vor die Füße.
»Hast du noch irgendwelche anderen Waffen?«
Er nickte in Richtung eines langen Steckens, der nicht weit von ihr am Felsen lehnte.
»Und Hunde? Wo stecken die Köter?«
»Ich hab keine Hunde. Ich hab nur siebzehn Ziegen zu hüten. Da braucht man keine Hunde.«
Shaya sah ihn misstrauisch an. Seine Lippen und das Kinn waren von geronnenem Blut verschmiert. Er sah ziemlich erbärmlich und harmlos aus. Nicht wie ein Lügner. Außerdem hätten die Hunde sie ganz sicher weiter oben am Hang gestellt. Sie hätten nicht einfach zugesehen, wie sie zum Lager ihres Herrn hinabspazierte.
»Wie komme ich in das Tal, in dem das Haus des Himmels steht?«
»Von hier aus?« Der Junge schüttelte den Kopf. »Gar nicht. Du müsstest eine ziemlich steile Felswand erklimmen, und du siehst nicht so aus, als würdest du
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