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Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)

Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)

Titel: Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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Tuwatis und auch weniger füllig, aber das fiel höchstens dann ins Auge, wenn man ahnte, dass etwas nicht stimmte. Sein Gesicht hatte sie geradezu erschreckend gut nachempfunden. Nur von ihrem langen, schwar zen Haar hatte sie sich nicht trennen mögen. Sie versteckte es unter der Pferdehaarperücke, auf der Bidayn Läuse krabbeln sah. Da hatte sie es mit ihrer Verkleidung schon besser getroffen.
    »Was hältst du von meiner Stimme?«
    Bidayn erschrak, als sie ihre Meisterin sprechen hörte. Auch hier war die Täuschung vollkommen. Und als Lyvianne ein paar mal im Zimmer auf und ab gegangen war, vermochte sie den Gang und die Körperhaltung des Priesters so überzeugend zu imitieren, dass Bidayn sich fragte, wie oft ihre Meisterin schon einem Menschenkind die Gestalt gestohlen hatte. Sie war unübersehbar sehr erfahren in dieser Art der Täuschung.
    Bevor sie das Zimmer verließen, nahm Lyvianne die beiden Lampen und schüttete deren Öl über den Leichnam und das Bett. Dann ließ sie einen brennenden Docht auf das Lager fallen und sah ungerührt zu, wie die Flammen sich ausbreiteten und nach dem entstellten Leichnam des Priesters leckten. Das Zimmer begann sich mit dichtem, schwarzem Rauch zu füllen.
    »Komm!« Lyvianne griff nach ihrem Arm und zog sie zur Tür. »Gehen wir.«
    »Aber das Feuer.« Bidayn sah zu den Balken der Decke hinauf. »Das ganze Haus könnte abbrennen. Vielleicht greift das Feuer sogar auf die Nachbarhäuser über. Die Gassen hier sind eng. Es könnte …«
    »Je größer der Brand wird, desto besser«, entgegnete Lyvianne und bedeutete ihr dann zu schweigen.
    Sie traten auf die Straße und schritten, ohne einen Blick zurück, zügig voran. Erst als sie schon ein ganzes Stück von dem roten Haus entfernt waren, hörten sie hinter sich aufgeregte Rufe. Doch niemand lief ihnen nach. Niemand brachte den ehrwürdigen Pries ter und den stolzen Hauptmann an seiner Seite mit dem Feuer in Verbindung.
    Später, als sie die endlosen Stufen zum hoch am Hang gelegenen Tempel der Išta erklommen hatten, sah Bidayn eine dichte Rauchsäule über dem Viertel stehen.
    Waren Menschenkinder in den oberen Etagen des Hauses gewesen? Waren sie alle rechtzeitig entkommen?
    Lyvianne schien sich nicht mit derlei Gedanken zu belasten. Bidayn war klar, warum es nützlich gewesen war, das Feuer zu legen. Es würde nichts mehr übrig bleiben von Tuwatis. Er wäre ohne jede Spur verschwunden. Und Lyvianne musste nicht befürchten, dass ihre Maskerade auffliegen würde. Sie konnte im Tempel ein und aus gehen, wie es ihr beliebte. Und vielleicht vermochte sie sich mit dem Namen und dem Ansehen des Bewahrers der Tiefen Gewölbe sogar in anderen Tempeln Zutritt zu verschaffen. Bidayn wandte sich von den Rauchwolken ab und versuchte, sich gegen jegliche Bedenken zu verschließen. Die Devanthar hatten diesen Krieg heraufbeschworen. Ihnen war zuzuschreiben, was nun geschah!
    Warmes Abendlicht ließ die trutzige Zikkurat, die die Luwier Išta zu Ehren erbaut hatten, in allen Tönen zwischen lichtem Gold und Purpurrot leuchten. Eine steile Treppe führte hinauf zum Heiligtum auf der Spitze der Stufenpyramide. Die Mauern waren mit glasierten Ziegeln verkleidet, die das Licht der Sonne einfingen und ihm zu letztem Glanz verhalfen. Seitlich des Tempels lag in einem langen Gebäude, das von wuchtigen, fassartigen Säulen getragen wurde, der Zugang zum Archiv. Bidayn kannte diesen Ort so gut, als habe sie hier ihr halbes Leben verbracht. Die gestohlenen Erinnerungen des Tuwatis verrieten ihr, was in all jenen oberirdischen Kammern verborgen lag, die sie in den vergangenen zehn Tagen nicht hatten betreten dürfen.
    Lyvianne sprach gerade mit einem hageren Mann, dessen Antlitz mit mürrischen, hängenden Mundwinkeln von Jahrzehnten asketischen Verzichts geprägt war. Sie erklärte ihm, dass der Unsterbliche einen seiner Hauptleute geschickt habe, um die Tiefen Gewölbe zu betreten und mit eigenen Augen einen jener Schrecken zu betrachten, die dort vor den Blicken der Menschheit verborgen wurden. Bidayn sah das Flackern in den Augen des Priesters. Die Angst vor diesen Gewölben. Eilig winkte er ihnen weiterzugehen und schlug dabei ganz offen das Zeichen des schützenden Horns.
    Nebeneinander betraten die beiden Elfen das Archiv und gingen vorbei an jenen Räumen, in denen in endlosen Regalen Tausende Tontafeln lagerten. So viele Stunden hatten sie hier schon vergeblich verbracht. Sie folgten dem langen Flur, der vor einem großen

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