Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
wusste sie, dass es falsch war hierherzukommen. Was hinter diesem Tor war, gehörte wirklich weggeschlossen!
Als die Tür einen Spaltbreit offen war, griff Lyvianne nach ihrem Handgelenk und zog sie zurück. Ihrer beider Gewänder waren mit roten Rostflocken bedeckt, sodass es im Schein der zu winzi gen Lichtpunkten geschrumpften Öllampenflämmchen aussah, als würden sie aus zahllosen Wunden bluten.
»Hast du das gehört?«, flüsterte sie.
Außer dem Kreischen des Tores hatte Bidayn nichts vernommen. Jetzt, da sie ihren Kampf gegen Rost und Zeit aufgegeben hatten, die miteinander verbündet diese Kammer unbedingt verschlossen halten wollten, schien es, als habe die Stille an Gewicht gewonnen. Sie lastete auf ihnen.
» Liuvar «, klang es durch die Torflügel zu ihnen heraus. Es war ein Gruß in ihrer Muttersprache. Liuvar hieß Frieden, doch die Stimme klang nach unterschwelliger Bosheit und jahrhundertealter Enttäuschung.
D ie Stimme aus der Vergangenheit
Lyvianne spürte die alte, sterbende Macht jenseits des Tores.
Tuwatis war nie weiter als bis zu diesem Tor gegangen, obwohl es zu seinem Amt gehört hätte, alle zehn Jahre die Kette zu lösen und das Gefängnis dahinter zu betreten. Auch sein direkter Vorgänger als Bewahrer der Tiefen Gewölbe hatte es so gehalten. Wie lange dieser Betrug schon währte, hatte Tuwatis nicht gewusst, doch die Tage, an denen er bis hierher hatte kommen müssen, gehörten zu den dunkelsten seiner Erinnerungen. Allein das Tor hatte ihn schon in Angst versetzt. Spürte er doch die Macht des Steins, der dahinter verborgen lag. Als er zum letzten Mal hier unten gewesen war, war die schwere Eisenkette noch intakt gewesen. Und eine Stimme hatte er hier nie gehört. Aber er wusste, dass es eine Stimme gab, die in unbekannten Sprachen raunte, wenn man das Gewölbe betrat. So stand es in den verbotenen Schriften, über die zu wachen Teil seiner Pflichten war.
Lyvianne hatte das meiste dieser geraubten Erinnerungen bis zu diesem Augenblick für dümmliches Priestergeschwätz gehalten. Doch nun schien es, als habe ausgerechnet Nandalee die Spur gefunden, die zur Aufdeckung der Geheimnisse des Weltenmunds führte. Der Mann im Stein mochte tatsächlich etwas mit den verschollenen sieben Meistern zu tun haben. Aber wie hätte er überleben können?
Lyvianne kämpfte den Schrecken nieder, den ihr die Stimme einjagte, und lauschte. Bedrückende Stille herrschte nun jenseits der Pforte. Sie sah kurz zu Bidayn, die zitternd versuchte, ihre Angst zu überwinden, dann zwängte sie sich entschlossen durch den Spalt zwischen den Torflügeln. Sie war nicht hier hinabgestiegen, um an dieser Stelle aufzugeben!
Das Gewölbe hinter dem Tor war überraschend klein. Es wurde völlig von einem großen, schwarzen Stein beherrscht. Rechteckig, mit sorgsam geglätteten Flächen, erinnerte er an einen aufrecht stehenden Sarg. Lyvianne hörte Bidayn hinter sich in das Gewölbe treten. Es war schneidend kalt hier. Mit hoch erhobener Lampe umrundete sie den seltsamen Stein. Feine Eiskristalle hatten sich auf der spiegelglatten Oberfläche abgesetzt. Es gab keine Fuge, nichts, was darauf hindeutete, dass dies etwas anderes als ein massiver Quader war.
Lyvianne strich über die kalte Oberfläche.
»Schlange …«
Das Wort kam von überall und nirgends. Es war um sie herum wie die Luft, die sie atmete. Und es jagte ihr einen Schauder über den Rücken.
Sie öffnete ihr magisches Auge und betrachtete das Muster der Kraftlinien, die sie umgaben. Ihr war klar, dass dies gefährlich war, denn auf diese Weise öffnete sie sich zugleich auch den Zaubern, die hier gewoben worden waren.
Sofort erkannte sie, wie die natürlichen Linienverläufe verändert worden waren. Jeder Zauber manipulierte die Kraftlinien, die alles durchdrangen. Doch meist war dies nur vorübergehend. Die von den Alben und Devanthar ersonnene ursprüngliche Form kehrte stets wieder zurück. Das magische Netz sorgte für ein Gleichgewicht in der Welt – seine Linien waren wie Grashalme, trat man sie nieder, richteten sie sich doch stets wieder auf.
Hier aber war auf Dauer etwas verändert worden! Das natürliche Muster war in eine neue Ordnung gezwungen worden. Alle Kraftlinien waren zum Stein gerichtet, wie Lanzen, die etwas in Schach halten sollten. Ihr Licht war so hell, dass sie verbargen, was sich im Stein befand. Lyvianne vermochte nur zu erahnen, dass dort etwas war … schwach, flackernd, vergehend.
Sie trat von dem Monolithen
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