Drachengasse 13, Band 04
Wäre ihre Lage nicht so ernst gewesen, hätte der Gedanke den Jungen grinsen lassen.
„Los, zum Spiegel!“, rief Tomrin. Hängt ihn einfach wieder zu, hatte Questrik gesagt. Ein Spiegel, der nichts spiegeln kann, verliert seine Macht.
Leider war das leichter gesagt als getan. Noch standen ihre Spiegelbilder zwischen ihnen und ihrem Ziel. Und jetzt erbebte auch noch das Eingangsportal unter heftigen Schlägen! Weitere Gegner versuchten, zu ihnen vorzudringen. Bald würde es im Audienzsaal richtig eng werden …
Missmutig stand Fleck am Fenster des kleinen Hauses. Die anderen waren verschwunden und hatten ihn zurückgelassen. Darüber war er gar nicht glücklich.
Er wollte bei Tomrin, Hanissa und Sando sein und ihnen helfen. Er hatte Schreie aus dem Palast gehört und ein furchtbares Brüllen. Irgendetwas passierte dort. Womöglich waren seine Freunde in Gefahr.
Der Jungdrache stieß ein entschlossenes Fauchen aus und tapste zur Tür. Zu seinem Glück war sie nicht richtig verschlossen, sondern nur zugezogen. Er nahm die Klinke zwischen die Zähne und öffnete die Tür. Dann schob er sich nach draußen. Verstohlen huschte er durch die Nacht auf den Nebeneingang des Palasts zu.
Erfreulicherweise war auch dieser unverschlossen. Vorsichtig steckte Fleck seine Schnauze hindurch, lauschte und witterte. Es schien niemand in der Nähe zu sein. Aber irgendwo über ihm erklang Kampfgetümmel. Wie sich ein Kampf anhörte, wusste Fleck mittlerweile. Seine Freunde waren häufiger in einen verwickelt, als es ihm lieb war.
Er schob sich durch die Tür und fand sich in einem Treppenhaus wieder. Schon wollte er die Stufen hinaufsteigen – von oben kam der Lärm, und dort waren sicher auch Tomrin, Hanissa und Sando – , als unvermittelt etwas in seiner Nase kitzelte. Es roch nach Flugdrachen, Waffenöl und Männerschweiß. Das konnte nur Tomrins Vater sein, da war sich Fleck sicher. Der Geruch kam von unten. Was machte Ritter Ronan im Keller des Palasts, wenn oben gekämpft wurde? Wurde er nicht gebraucht? Vielleicht sollte Fleck ihm zu verstehen geben, dass sein Sohn in der Klemme steckte.
Entschlossen drehte sich der Jungdrache um und folgte der Treppe nach unten. Bald erreichte er einen Kellergang, der ihn irgendwie an den in der Drachengasse 13 erinnerte. Es handelte sich um einen langen, dunklen Korridor aus gemauertem Stein und mit gewölbter Decke. Mehrere Gittertüren waren in die Wände eingelassen. Am Anfang des Gangs befand sich eine Nische mit einem Tisch und zwei Holzstühlen. Bierkrüge und Spielkarten lagen auf der Tischplatte, als hätten dort eben noch zwei Männer gesessen und sich die Zeit vertrieben. Doch es war niemand zu sehen.
Dafür wurde der Geruch nach Tomrins Vater stärker. Fleck wusste, dass er auf der richtigen Fährte war. Aber wo steckte der Ritter? Der Keller unter dem Palast schien riesig zu sein. Fleck stieß einen fragenden Quäklaut aus. Das Geräusch hallte von den Wänden wider. Zum Glück wurden keine Wachen auf ihn aufmerksam.
Stattdessen vernahm er die Stimme Ritter Ronans. „Fleck?“ Sie kam aus einem der Räume hinter den Gittertüren. „Fleck, bist du das?“
Der Jungdrache wiederholte sein Quäken und eilte auf die Stimme zu. Keine zwanzig Schritte weiter fand er Ritter Ronan hinter einer Gittertür.
Der erhob sich von einer Steinbank und sah Fleck verwundert an. „Was in der Zweigötter Namen machst du hier? Sind Tomrin, Hanissa und Sando auch im Palast? Die echten, meine ich, nicht ihre Spiegelbilder?“
Freudig klopfte Fleck mit dem Schwanz auf den Boden. Er wackelte mit dem Kopf und tapste einige Schritte den Gang zurück, um Ronan anzudeuten, dass er mitkommen solle.
„Fleck, warte“, rief Ritter Ronan. „Wir können dir nicht folgen. Wir sind eingesperrt.“
„Wer ist denn das?“, drang eine zweite Stimme aus dem Dunkel der Zelle. Es raschelte, und ein weiterer Mann trat ins Licht der Fackel, die den Keller erhellte.
Waffenöl, Pomade und Lavendelwasser – Fleck erkannte den Geruch. Er gehörte Feylor von Garsting, dem Stadtmarschall.
„Das ist Fleck“, sagte Ronan, „der kleine Drache meines Sohnes und seiner Freunde. Wenn er im Palast ist, sind die Kinder sicher nicht fern. Sie müssen gekommen sein, um Achnathon aufzuhalten.“
„Drei Kinder gegen einen Dämon?“, tönte Feylor. „Das ist doch lächerlich.“
„Sie sind jetzt unsere einzige Hoffnung“, versetzte Ronan scharf. Er wandte sich wieder dem Jungdrachen zu. „Fleck, du musst uns
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