Drachenruf
blaue Schüssel aus dem Kühlraum! Die große blaue Schüssel, Camo, aus dem Kühlraum. Bring sie mir!« Silvina reichte Menolly den randvollen Becher, ohne einen Tropfen zu verschütten. »Im Kühlraum, Camo, die große blaue Schüssel.« Sie nahm den Mann an den Schultern und gab ihm einen sanften Schubs in die angegebene Richtung. »Abuna, du stehst gerade am Herd. Richte bitte eine Schale Weizenbrei her - mit viel Zucker! Die Kleine besteht ja nur aus Haut und Knochen.« Silvina lächelte Menolly zu. »Es wäre nicht sehr sinnvoll, die Tiere zu mästen und die Herrin hungern zu lassen. Ich habe ein paar Fleischbrocken für deine Echsen auf die Seite gelegt, als wir den Rostbraten vorbereiteten...« Und Silvina deutete zum Hauptherd hin, wo große Fleischkeulen auf Spießen rotierten. »So, wo
ist der günstigste Platz...« Sie blickte unentschlossen umher, aber Menolly hatte bereits eine niedere Tür entdeckt, von der ein paar Stufen in eine Ecke des Innenhofes führten.
»Würde ich da draußen jemanden stören?«
»Ganz und gar nicht. Du bist wirklich ein kluges Mädchen. Gut gemacht, Camo, vielen Dank.« Silvina tätschelte freundlich den Arm des schwachsinnigen Knechtes, und er strahlte vor Freude, weil er den Auftrag richtig ausgeführt hatte. Silvina hielt die Schüssel Menolly entgegen. »Ist das genug? Ich habe noch mehr draußen...«
»Oh, fast zu viel, Silvina!«
»Camo, das hier ist Menolly. Trag ihr die Schüssel nach. Sie kann nicht ihr Frühstück und das Futter für die Echsen schleppen. Das hier ist Menolly, Camo, trag ihr die Schüssel nach! Geh ruhig los, Liebes, er macht das recht geschickt...«
Silvina wandte sich ab und fauchte zwei Küchenmägde an, lieber Rüben zu schneiden, anstatt andere Leute anzugaffen. Menolly war sich des Aufsehens bewusst, das sie erregte, und verlegen ging sie auf die Stufen zu, ihren Klah -Becher in einer, den Weizenbrei in der anderen Hand. Camo schlurfte hinter ihr drein. Prinzessin, die sich in ihrem Haar verkrochen hatte, reckte nun den Hals, weil sie das rohe Fleisch roch, das Camo in der Schüssel trug.
»Schön, schön«, mauschelte der Mann, als er die Feuerechse entdeckte. »Schöner kleiner Drache?« Er tippte Menolly auf die Schulter. »Schöner kleiner Drache?« Er wartete so angespannt auf ihre Antwort, dass er um ein Haar über die Stufen gestolpert wäre.
»Ja, sie ist wie ein kleiner Drache und sie ist schön«, pflichtete Menolly ihm lächelnd bei. »Sie heißt Prinzessin.«
»Heißt Prinzessin.« Camo war wie gebannt. »Heißt Prinzessin. Schöner kleiner Drache.« Strahlend verkündete er sein neues Wissen.
Menolly legte den Finger auf den Mund. Sie wollte Silvinas Mägde weder ablenken noch beunruhigen. Draußen angelangt stellte sie ihren Becher und die Schale ab und griff nach dem Fleisch.
»Schöner kleiner Drache Prinzessin«, murmelte Camo und merkte nicht, dass sie an der Schüssel zerrte.
»Geh du jetzt wieder zu Silvina! Geh zu Silvina!«
Camo blieb stehen, wo er war. Sein schwerer Kopf pendelte hin und her und der feuchte schlaffe Mund war zu einer seligen Grimasse verzogen. Menollys Worte drangen überhaupt nicht bis zu ihm durch.
Prinzessin kreischte jetzt gebieterisch, und Menolly packte eine Handvoll Fleischbrocken, um sie zu beruhigen. Aber ihr Geschrei hatte die anderen auf den Plan gerufen. Sie kamen angeflattert, einige durch die offenen Fenster des Speisesaals über Menollys Kopf, andere, der allgemeinen Aufregung nach zu urteilen, quer durch die Küche.
»Schön, schön!«, rief Camo. »Alle schön.« Er drehte den Kopf heftig hin und her, weil er alle gleichzeitig sehen wollte.
Aber er hielt sich ganz still, als Tantchen Eins und Zwei auf seine Arme flogen und ihre Fleischbrocken selbst aus der Schüssel schnappten. Onkelchen krallte sich auf Camos Schulter fest und kämpfte mit Flügelschlagen um seinen Anteil. Brownie, Spiegel und Faulpelz umflatterten Menolly, die sich alle Mühe gab, das Futter gerecht zu verteilen.
Verlegen, weil sich ihre Freunde so schlecht benahmen, und zugleich dankbar für Camos Hilfe, merkte Menolly mit einem Mal, dass in der Küche jede Arbeit ruhte. Das Gesinde beobachtete das ungewohnte Schauspiel. Einen Moment lang fürchtete sie, Silvina könnte den Knecht schelten und an seinen Platz zurückrufen, aber sie hörte nur das Gewisper der Mägde.
»Wie viele sind das denn?«, erkundigte sich jemand.
»Neun«, entgegnete Silvina ungerührt. »Und wenn die zwei
Eier, die der
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