Fuck Buddies - Fremde und andere Liebhaber
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Bis vor kurzem habe ich den Nachrichten geglaubt. Nicht denen auf RTL2, zugegeben, aber wenn in der ARD um kurz nach acht abends verkündet wird, dass die Überalterung eins der drängenden Probleme Deutschlands ist, dann neige ich dazu, das zu glauben. Doch jetzt ist halb acht morgens – und mein Problem ist nicht die Überalterung. Sondern das, was nachkommt.
So sieht das also aus, wenn Heterosexuelle sich zusammentun, um den Staat zu retten, denke ich. Schon landet eins der kleinen Monster auf meinem Schoß, rammt mir seinen Schulranzen in den Magen und quietscht etwas, das sich wie „Yo, man, sorry“ anhört. Ob dies auf eine bilinguale Erziehung Rückschlüsse zulässt …? Trotzdem: In einem Schulkinder-überfüllten Bus zu sitzen ist im Moment mein geringstes Problem.
„Sind die jeden Morgen so furchtbar?“, frage ich mein Gegenüber, eine resolute Mittfünfzigerin. Sie ist mir vor wenigen Augenblicken ans Herz gewachsen, als sie einem der schreienden Kinder heimtückisch ihren Schirm in die Seite pikte.
„Sie machen sich keine Vorstellungen“, seufzt sie. „Früher hätte es das nicht gegeben.“ Obwohl dies der Satz ist, der sonst meine stärkste Abwehrreaktion provoziert, nicke ich zustimmend. „Schlimmer geht’s nicht, als zur selben Zeit wie die Schulkinder zu fahren“, klärt mich mein Gegenüber auf. „Normalerweise fahre ich früher, aber heute ging’s nicht.“ Sie sieht mich prüfend an. „Auch nicht aus dem Bett gekommen?“
„Fast im falschen gelandet“, gebe ich zurück, was mir einen irritierten Blick einbringt. „Es ist so“, starte ich einen Erklärungsversuch, „ich liebe meinen Mann, wirklich.“ Der Blick wird durch eine gerunzelte Stirn ergänzt. „Natürlich ist Steffen nicht wirklich mein Mann. Wir sind fest zusammen, aber nicht verheiratet, oder verpartnert, wie man das nennt.“ Die Dame nestelt an ihrem Halstuch. „Egal. Jedenfalls lieben wir uns. Wissen Sie, das ist nicht nur so ein fröhliches Verliebtsein, sondern Liebe . Ganz tiefe Gefühle. Aber wissen Sie, wie das ist, wenn man wirklich liebt?“ Die Dame greift nach ihrer Handtasche. „Alles ist wunderbar. Und dann merkt man irgendwann, dass man sich zu sehr aneinander gewöhnt hat. Man nimmt den anderen als selbstverständlich hin. Ich habe immer gedacht, mir passiert das nicht, aber dann wache ich plötzlich eines Morgens auf und merke, dass mein Mann und ich seit einem Monat nicht mehr miteinander geschlafen haben und dass es zwar alles warm und weich und kuschelig ist mit uns beiden, aber dass da eben nur noch Liebe ist und keine Verliebtheit. Verstehen Sie, was ich meine?“ Mein Gegenüber springt mit erstaunlicher Agilität auf und bahnt sich ihren Weg durch die lärmenden Kinder. Es sieht fast so aus, als würde sie flüchten. Wahrscheinlich vor dieser frühpubertierenden Meute. Wer kann es ihr verdenken! Ich möchte auch fliehen – aus dem Bus und aus der Situation, in die ich mich manövriert habe. Nur dass es im Leben keinen praktischen Knopf gibt, auf den man drückt, wenn man aussteigen will. Und auch keinen nachfolgenden Bus, in den man wieder einsteigen kann, wenn man weiß, dass es weitergehen soll.
Manchmal wünsche ich mir, mein Leben wäre ein Film. Dann wäre dies der Moment, in dem die Kamera zurückzieht. Der charismatische Hauptdarsteller verliert sich in der metropolen Straßenflucht, alles verschwimmt, und dann erklärt eine humorvolle Stimme: „Es begann vor einer Woche. Und damit, dass mir der Bus vor der Nase wegzufahren drohte.“
Natürlich war es an einem Montag. Der Bus fuhr vorbei, als ich gerade aus dem Hauseingang trat. In solchen unsonnigen Momenten hat man zwei Möglichkeiten: sich mit dem Schicksal abfinden – oder kämpfen.
Kameraeinstellung (auf mein Gesicht): Ich mit erschrockenem, dann aber zu allem entschlossenem Ausdruck.
Kameraeinstellung (auf die Füße): Die Schritte werden schneller.
Kameraeinstellung (Totale): Mein athletischer Körper zerschneidet die frühlingsfrische Morgenluft.
Bei letzterer Einstellung agiert ein geschickt gewähltes Körperdouble. Denn mir tat bereits nach den ersten Laufschritten mein Rücken weh. Wenig später meine Gelenke. Etwa zeitgleich begann mein Körper, auch temperaturtechnisch auf die unerwartete Anstrengung zu reagieren. Achseln, Rücken, Stirn: nass! Dazu pochte das Blut in meinen Schläfen. Aber ich war nicht bereit, mich geschlagen zu geben. Ich nehme schließlich immer diesen Bus! Und
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