Dragon Kiss (epub)
immer noch ziemlich« – sein Vater grinste – »überzeugend sein.«
Shalin schnaubte und wandte sich ab, doch sein Vater fuhr fort: »Aber ich wollte dir die Möglichkeit offenlassen. Wie entscheidest du dich?«
Er musste keine Entscheidung treffen. Er hatte sie schon vor langer Zeit an dem Tag getroffen, als er das weiße Drachenmädchen zum ersten Mal gesehen hatte. Er war kaum fünfzig Winter alt gewesen und sie schon zweiundfünfzig. Ein älterer Drache. Er war vorher nie bei Hof gewesen und hatte diesmal seine Mutter begleitet. Seinen ersten Fehltritt machte er, sobald er den Thronsaal der Königin betrat. Er trampelte auf den schneeweißen Schwanz einer Prinzessin. Ihre Wut war unmittelbar, und ohne auf eine Entschuldigung zu warten, zielte sie mit eben dieser Schwanzspitze direkt in sein Auge.
Was wenige wussten, aber schließlich doch erfuhren, war, dass alle Kinder von Ailean … nun ja … anders als andere junge Drachen aufwuchsen. Bercelak konnte sich an keinen Tag erinnern, an dem sein Vater nicht irgendwo aus einer dunklen Ecke gesprungen wäre, ihn am Schwanz gepackt und durch den Raum geschleudert hätte. Nicht, um ihn zu misshandeln – auch wenn er das damit tat –, sondern weil er wollte, dass die Reflexe seiner Nachkömmlinge besser waren als die aller anderen. Und zu Bercelaks Verdruss funktionierte es. Während andere Drachenkrieger in Schlachten unvorbereitet getroffen wurden oder vor Angst davonliefen, hatte Bercelak niemals mit der Wimper gezuckt, niemals Angst gehabt und war definitiv niemals davongelaufen. Nicht einmal. Im Gegenteil: Er hatte alles und jeden, was ihm im Weg stand, vernichtet, bis sie ihm schließlich den Titel des Heeresbefehlshabers der Königin gegeben hatten. Der höchste Rang, auf den ein Drachenkrieger von niederer Geburt wie er hoffen konnte.
Als er also an jenem Tag diese rasiermesserscharfe Schwanzspitze auf sein Gesicht zukommen sah, reagierte er, wie er es bei jedem aus seiner Sippe getan hätte: Er schnappte sich den Schwanz und schwenkte ihn, sodass die Prinzessin und Erbin des Throns der Königin quer durch den Thronsaal und direkt an ihrer Mutter vorbeiflog.
Als ihn die Wachen der Königin festhielten, war er sich sicher, dass er an diesem Tag sterben würde. Doch die Königin … sie hatte andere Pläne. Und um ehrlich zu sein, schien es ihr auch egal zu sein, wie er ihre Tochter behandelt hatte.
Aber ihm war es nicht egal. Danach versuchte er alles, um Rhiannon dazu zu bringen, ihm zu verzeihen. Ihr näherzukommen. Doch immer wenn sie ihn sah, verdrehte sie die Augen und ging in die entgegengesetzte Richtung. Wenn er versuchte, mit ihr zu sprechen, gähnte sie ihm ins Gesicht und ließ ihn stehen.
Irgendwann hatte er sie dann in Ruhe gelassen. Aber er hatte nie aufgegeben, sie zu wollen. Und das hatte sich nicht geändert. Das würde sich niemals ändern.
»Ich nehme sie.«
Seine Mutter umklammerte seinen Arm. »Bercelak …«
»Ist schon gut, Mutter. Ich weiß, was ich tue.« Er sah seinen Vater an. »Ich nehme sie.«
Ailean grinste. Dieses breite Grinsen mit den vielen Zähnen, das Bercelak so unendlich ärgerte. »Irgendwie wusste ich, dass du das sagen würdest. Sie wird bei deiner Höhle auf dich warten.«
Bercelak und Shalin tauschten Blicke. Er war sich sicher gewesen, dass er sie selbst holen musste. Schließlich war sie Prinzessin Rhiannon. Und das ließ sie keinen je vergessen.
Bercelak neigte den Kopf zur Seite. »Ach ja?«
Rhiannon stieg in die Luft, sobald sie den Berg Devenallt verlassen hatte. Sie flog und flog – wild entschlossen, es vor Anbruch der Nacht bis zu ihrer Höhle zu schaffen. Sie hatte vieles zu durchdenken, denn ihre Mutter würde vermutlich auf der Stelle irgendeinen Gegenangriff planen. Doch ihre Höhle war eine Festung. Mit der Hilfe von Zauberern, die ihr die Treue hielten, hatte sie magische und physische Sicherheitsmaßnahmen um ihre Höhle eingerichtet, die ihre Mutter auf keinen Fall je durchbrechen konnte.
Sie flog an Wäldern und Städten vorbei, an Burgen und Bauernhöfen. Wenige sahen sie. Diejenigen, die es taten, schrien entsetzt und rannten davon. Ihr Götter, sie musste wirklich wütend sein. Sie ging nicht einmal tiefer, um sich aus einem der Dörfer einen schnellen Imbiss zu schnappen oder sich einfach an ihren Schreien zu ergötzen.
Sie steuerte aufs offene Meer zu und bewegte sich schnell, da sie mit dem Wind flog. Sie näherte sich dem großen Berg, als sie es spürte. Ein kleines
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