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Drei Dichter ihres Lebens

Drei Dichter ihres Lebens

Titel: Drei Dichter ihres Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Vermächtnis beschützt und bereit ist, ihm Helferin zu werden für den letzten Weg. Dreizehn Jahre später, 1897, bricht er zum zweitenmal aus und hinterläßt seiner Frau jenen unsterblichen Brief, mit der Darlegung seines Gewissenszwanges: »Ich beschloß zu fliehen, erstens, weil mich dieses Leben mit den zunehmenden Jahren immer mehr bedrückt und ich mich immer heftiger nach Einsamkeit sehne, und zweitens, weil die Kinder nun herangewachsen sind und meine Gegenwart im Haus nicht mehr nötig ist ... Die Hauptsache ist, daß – ähnlich wie dieInder in die Wälder entfliehen, wenn sie einmal das sechzigste Jahr erreicht haben – jeder religiöse Mensch im Alter den Wunsch fühlt, seine letzten Jahre Gott zu weihen und nicht dem Scherz und Spiel, dem Klatsch und dem Tennissport. So sehnt sich auch meine Seele nun, da ich in mein siebzigstes Jahr eingetreten bin, mit aller Macht nach Ruhe und Einsamkeit, um mit meinem Gewissen in Harmonie zu leben oder – wenn das nicht restlos gelingt – doch dem schreienden Mißverhältnis zwischen meinem Leben und meinem Glauben zu entfliehen.« Aber auch damals war er zurückgekehrt, aus überwogender Menschlichkeit. Noch war seine Kraft zu sich selbst nicht stark, der Ruf noch nicht mächtig genug. Aber nun, dreizehn Jahre nach jener zweiten, zweimal dreizehn Jahre nach jener ersten Flucht, hebt schmerzhafter als jemals das ungeheure Ziehen in die Ferne an, mächtig und magnetisch fühlt das eiserne Gewissen sich angerissen von der unerforschlichen Macht. Im Juli 1910 schreibt Tolstoi in das Tagebuch die Worte: »Ich kann nichts anderes außer Fliehen, und daran denke ich jetzt ernstlich, nun zeige dein Christentum. C'est le moment ou jamais. Hier bedarf doch keiner meiner Anwesenheit. Hilf mir, mein Gott, belehre mich, ich möchte nur eins, nicht meinen, nur Deinen Willen tun. Ich schreibe dies und frage mich: Ist es wirklich auch wahr? Spiele ich mich nicht nur so vor Dir auf? Hilf! Hilf! Hilf!« Aber immer noch zögert er, immer hält ihn die Angst um das Schicksal der andern zurück, immer erschrickt er selbst über seinen sündhaften Wunsch und horcht doch, schauernd über die eigene Seele gebeugt, ob nicht ein Anruf kommen wolle von innen, eine Botschaft von oben, die unwiderstehlich gebietet, wo der eigene Wille noch zögert und zagt. Gleichsam auf den Knien, im Gebet vor dem unerforschlichen Willen, dem er sich hingegeben und dessen Weisheit er vertraut, beichtet er im Tagebuch seine Angst und seine Unruhe. Wie ein Fieber ist dieses Warten im entzündeten Gewissen, wie ein einziges ungeheures Zittern dies Horchen im erschütterten Herzen. Und schon meint er sich ungehört vom Schicksal und dem Sinnlosen hingegeben.
    Da, in der rechten und richtigsten Stunde, bricht eine Stimme in ihm auf, das uralte: »Stehe auf und erhebe dich, nimm Mantel und Pilgerstab!« der Legende. Und er rafft sich auf und schreitet seiner Vollendung entgegen.
    Die Flucht zu Gott
     
    Gott kann man sich nur allein nähern. Tagebuch
     
    Am 28. Oktober 1910, sechs Uhr morgens mag es sein, zwischen den Bäumen hängt noch stockdunkle Nacht, umschleichen ein paar Gestalten in sonderbarer Weise das Schloßhaus von Jasnaja Poljana. Schlüssel knacken, Türen klinken diebisch auf, im Stallstroh schirrt der Kutscher ganz vorsichtig, daß nur kein Lärm geschehe, die Pferde an den Wagen, in zwei Zimmern geistern unruhige Schatten, tappen mit abgeblendeten Taschenlaternen nach allerhand Paketen, öffnen Laden und Schränke. Dann gleiten sie durch lautlos aufgedrückte Türen, stolpern flüsternd durch das kotige Wurzelwerk des Parks. Dann rollt leise ein Wagen, den Weg vor dem Hause vermeidend, rückwärts zum Parktor hinaus.
    Was geschieht da? Sind Einbrecher in das Schloß gedrungen? Umstellt endlich die Polizei des Zaren die Wohnung
    des allzu Verdächtigen, um eine Untersuchung vorzunehmen? Nein, niemand ist eingebrochen, sondern Leo Nikolajewitsch Tolstoi bricht wie ein Dieb, nur von seinem Arzt begleitet, aus dem Gefängnis seines Daseins. Der Ruf ist an ihn ergangen, ein Zeichen, unwiderleglich und entscheidend. Abermals hat er nachts die Frau überrascht, wie sie heimlich und hysterisch seine Papiere durchwühlt, und da ist plötzlich stahlhart und stoßhaft der Entschluß in ihm aufgesprungen, sie zu verlassen, »die seine Seele verlassen hat«, zu fliehen, irgendwohin, zu Gott hin, zu sich selbst, in den eigenen, ihm zugemessenen Tod. Plötzlich hat er über das Arbeitshemd den Mantel

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