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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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W ind kam auf. Er trieb eine Wolke vor sich her, eine Wolke aus Staub und Dornen … Lauter wurde das Brausen … Im Innern entstand Glut, sie wucherte, jetzt flimmerte der Staub, kleine Flammen sprangen aus den Dornenspitzen … Ein Arm wuchs hinaus, die Hand öffnete sich, streckte den Zeigefinger … Da brannte die Wolke, verbrannte der Arm, verglühte der Finger; ein Tropfen blieb … und fiel.
Meister Til wischte sich über die Stirn, er hielt die Augen geschlossen. Stickig und schwer war die Luft in der Schlafstube. Das Traumbild verließ ihn nicht. Wieder sah er das Flirren in der Wolke, hörte das Brausen. »Bescheide dich«, flüsterte er. »Kein himmlischer Bote, der Rat hat dir den Auftrag gegeben. Nur die Herren vom Stadtrat …« Neben ihm seufzte seine Frau Anna im Schlaf, drehte sich schwer zur Seite. Wie ertappt schwieg Til, erst als sie den Atem wieder geräuschvoll und gleichmäßig durch die Lippen blies, öffnete er die Lider. Durch die Ritzen der Schlagläden schimmerte grau der Morgen. Was für ein Tag! Durfte er das Wagnis eingehen?
»Nackt?« »Ja, nackt sollen sie sein!« Unvermittelt war Tumult in der Ratssitzung entstanden. »Nackte vor dem Eingang?«, ereiferten sich einige fromme Gemüter und erhitzten sich: »Unsere Marienkapelle ist kein Frauenhaus!« Hohngelächter der anderen Stadtväter antwortete: »Nackt. Wie denn sonst?«
Mit erhobenen Händen versuchte der oberste Bürgermeister zu beschwichtigen, erst die Glocke verschaffte ihm Gehör: »Freunde! Werte Herren! Auch wenn das Wort erneut einige von uns erschreckt. Es muss so sein. Denkt doch ans Paradies, ans Feigenblatt.« Geschickt nutzte er die Erleichterung. »Außerdem will ich ihn ohne Bart. Nicht nur der Meister, auch ich will es! Sein Vorschlag ist gut. Ja, jung sollen die beiden sein.« Keine Proteste mehr, die Abstimmung brachte den Beweis, der Fortschritt hatte in Würzburg gesiegt. Und nur einer konnte das erste Menschenpaar erschaffen, darin waren sich die Herren nach wie vor einig.
Ohne seine Frau zu wecken, befreite sich Meister Til von der dünnen Zudecke, fand mit den Füßen die Maulschuhe, blieb aber auf der Bettkante sitzen. »Jetzt haben wir Anfang Mai«, rechnete er. »Vier Monate sind’s her. Keine lange Zeit für den Adam.« Sicher, es wäre leicht gewesen, eine Figur angetan mit Gewändern aus dem Sandstein zu hauen, und noch leichter, wenn er Holz statt Stein bearbeitet hätte. Aber den bloßen jungen Leib? »Und für einen Moment glaubte ich …« Er schüttelte über sich selbst den Kopf und schmunzelte. Damals war er noch abends spät, nur bekleidet mit dem Hausmantel, hinüber in die Werkstatt gegangen, hatte Lampen rechts und links des Spiegels gehängt und das Kleidungsstück abgelegt. Wähnt sich ein Mann von gut dreißig Jahren auch immer noch jung, der Blick des Künstlers entschuldigt keinen Makel. Til tätschelte seinen Bauch und lachte vor sich hin. »Nein, als Adam war ich mir zu unansehnlich.«
In seinem Rücken raschelte Stoff, die Matratze bebte. »Schäm dich!« Mit dem Vorwurf reinigte sich die Stimme seiner Frau vom Schlaf, wurde spitzer: »Du freust dich wohl, kannst es erst gar nicht abwarten?« Ein Aufstöhnen folgte. »O Heilige Mutter, wäre ich doch Witwe geblieben. Warum hast du es zugelassen, dass ich diesen Mann geheiratet habe?«
Meister Til bewegte sich nicht, er schwieg und wartete ab. Ihre Anklage war noch nicht beendet. Seit Tagen schon kannte er Satz für Satz und musste jeden über sich ergehen lassen, um nicht neue Sätze heraufzubeschwören.
»Holt sich ein Weib in die Werkstatt. Ein Bauernweib. Ich hoffe nur, dass mein Goldschmied, Gott hab ihn selig, dass mein Ewald heute nicht von oben zusieht, wie das Laster in unser Haus einzieht. Du willst ein ehrbarer Schnitzer sein? Alle hast du getäuscht mit deinen Heiligenfiguren, mit der schönen Muttergottes für die Prozession.« Ein Aufschluchzen, die Stimme sank von der Anklage zur Klage. »Und ich hab so fest an dich geglaubt, war stolz … stolz auf meinen Tilman Riemenschneider. Heute aber legt er die Maske ab. Und drunter steckt ein Lüstling …« Der Satz erstickte im nächsten Schluchzer. Stille.
Immer noch hütete er sich, etwas zu erwidern.
Frau Anna schlug mit den flachen Händen auf die Matratze, ihr Ton fand zur Schärfe zurück: »Wohin soll das führen? Erst müssen sich die Söhne meines Ewald vor dir ausziehen, meine drei Buben. Einer nach dem anderen. Aber sie waren dir nicht gut genug …«
»Zu

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