Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski
unvermittelt aufschauen könnte in diesen neuen wie in heimatlichen Himmel. Dostojewski ist nichts, wenn nicht von innen erlebt. Nur dort, ganz im Untersten, im Ewigen und Unabänderlichen unseres Seins, Wurzel in Wurzel, können wir uns Dostojewski zu verbinden hoffen; denn wie fremd scheint äußerem Blick diese russische Landschaft, die, wie die Steppen seiner Heimat, weglose, und wie wenig Welt von unserer Welt! Nichts Freundliches umfriedet dort lieblich den Blick, selten rät eine sanfte Stunde zur Rast. Mystische Dämmerung des Gefühls, trächtig von Blitzen, wechselt mit einer frostigen, oft eisigen Klarheit des Geistes, statt warmer Sonne flammt vom Himmel ein geheimnisvoll blutendes Nordlicht. Urweltlandschaft, mystische Welt hat man mit Dostojewskis Sphäre betreten, uralt und jungfräulich zugleich, und süßes Grauen schlägt einem entgegen wie vor jeder Naheit ewiger Elemente. Bald schon sehnt sich Bewunderung gläubig zu verweilen, und doch warnt eine Ahnung das ergriffene Flerz, hier dürfe es nicht heimisch werden für immer, müsse es doch wieder zurück in unsere wärmere, freundlichere, aber auch engere Welt. Zu groß ist, spürt man beschämt, diese erzene Landschaft für den täglichen Blick, zu stark, zu beklemmend diese bald eisige, bald feurige Luft für den zitternden Atem. Und die Seele würde fliehen vor der Majestät solchen Grauens, wäre nicht über dieser unerbittlich tragischen, entsetzlich irdischen Landschaft ein unendlicher Himmel der Gütesternenklar ausgespannt, Himmel auch unserer Welt, doch höher ins Unendliche gewölbt in solchem scharfen geistigen Frost, als in unseren linden Zonen. Erst der befreundete Aufblick aus dieser Landschaft zu ihrem Himmel spürt die unendliche Tröstung dieser unendlichen irdischen Trauer, und ahnt im Grauen die Größe, im Dunkel den Gott.
Nur solcher Aufblick zu seinem letzten Sinne vermag unsere Ehrfurcht vor dem Werke Dostojewskis in eine brennende Liebe zu verwandeln, nur der innerste Einblick in seine Eigenheit das Tiefbrüderliche, das Allmenschliche dieses russischen Menschen uns klarzutun. Aber wie weit und wie labyrinthisch ist dieser Niederstieg bis zum innersten Herzen des Gewaltigen; machtvoll in seiner Weite, schreckhaft durch seine Ferne, wird dies einzige Werk in gleichem Maße geheimnisvoller, als wir von seiner unendlichen Weite in seine unendliche Tiefe zu dringen suchen
. Denn überall ist es mit Geheimnis getränkt. Von jeder seiner Gestalten führt ein Schacht hinab in die dämonischen Abgründe des Irdischen, hinter jeder Wand seines Werkes, jedem Antlitz seiner Menschen liegt die ewige Nacht und glänzt das ewige Licht: denn Dostojewski ist durch Lebensbestimmung und Schicksalsgestaltung allen Mysterien des Seins restlos verschwistert. Zwischen Tod und Wahnsinn, Traum und brennend klarer Wirklichkeit steht seine Welt. Überall grenzt sein persönliches Problem an ein unlösbares der Menschheit, jede einzelne belichtete Fläche spiegelt Unendlichkeit. Als Mensch, als Dichter, als Russe, als Politiker, als Prophet: überall strahlt sein Wesen von ewigem Sinn. Kein Weg führt an sein Ende, keine Frage bis in den untersten Abgrund seines Herzens. Nur Begeisterung darf ihm nahen, und auch sie nur demütig in der Beschämung, geringer zu sein als seine eigene liebende Ehrfurcht vor dem Mysterium des Menschen.
Er selbst, Dostojewski, hat niemals die Hand gerührt, um uns an sich heranzuhelfen. Die anderen Baumeister des Gewaltigen in unserer Zeit offenbarten ihren Willen. Wagner legte neben sein Werk die programmatische Erläuterung, die polemische Verteidigung, Tolstoi riß alle Türen seines täglichen Lebens auf, jeder Neugier Zutritt, jeder Frage Rechenschaft zu geben. Er aber, Dostojewski, verrietseine Absicht nie anders als im vollendeten Werk, die Pläne verbrannte er in der Glut der Schöpfung. Schweigsam und scheu war er ein Leben lang, kaum das Äußerliche, das Körperliche seiner Existenz ist zwingend bezeugt. Freunde besaß er nur als Jüngling, der Mann war einsam: wie Verminderung seiner Liebe zur ganzen Menschheit schien es ihm, einzelnen sich hinzugeben. Auch seine Briefe verraten nur Notdurft der Existenz, Qual des gefolterten Körpers, alle haben sie verschlossene Lippen, so sehr sie Klage und Notruf sind. Viele Jahre, seine ganze Kindheit sind von Dunkel umschattet, und schon heute ist er, dessen Blick manche in unserer Zeit noch brennen sahen, menschlich etwas ganz Fernes und Unsinnliches geworden, eine
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