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Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski

Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski

Titel: Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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so sehnt als nach irgendeiner arglosen melodischen Erregung des Herzens, wird man nach diesen einzigen Büchern greifen, in England und überall in der Welt.
     
    Das ist das Große, das Unvergängliche in diesem irdischen, allzu irdischen Werke: es hat Sonne in sich, es strahlt und wärmt. Man soll die großen Kunstwerke nicht allein nach ihrer Intensität fragen, nicht nur nach dem Menschen, der hinter ihnen stand, sondern auch nach ihrer Extensität, der Wirkung auf die Mengen. Und von Dickens wird man wie von keinem in unserem Jahrhundert sagen können, er habe die Freudigkeit der Welt gemehrt. Millionen Augen haben bei seinen Büchern in Tränen gefunkelt; Tausenden, denen das Lachen verblüht oder verschüttet war, hat er es neu in die Brust gepflanzt: weit über das Literarische hinaus ging seine Wirkung. Reiche Leute besannen sich und machten Stiftungen, als sie von den Brüdern Chereby lasen; Hartherzige wurden gerührt; die Kinder bekamen – es ist verbürgt –, als »Oliver Twist« erschien, mehr Almosen auf den Straßen; die Regierung verbesserte die Armenhäuserund kontrollierte die Privatschulen. Das Mitleid und Wohlwollen in England ist stärker geworden durch Dickens, das Schicksal von vielen und vielen Armen und Unglücklichen gelindert. Ich weiß: solche außerordentliche Wirkungen haben nichts zu tun mit der ästhetischen Wertung eines Kunstwerkes. Aber sie sind wichtig, weil sie zeigen, daß jedes ganz große Werk über die Welt der Phantasie hinaus, wo ja jeder schaffende Wille zauberhaft frei schweifen kann, auch in der realen Welt Wandlungen hervorbringt. Wandlungen im Wesentlichen, im Sichtbaren und dann in der Temperatur des Gefühlsempfindens. Dickens hat – im Gegensatz zu den Dichtern, die für sich selbst um Mitleid und Zuspruch bitten – die Heiterkeit und Lust seiner Zeit gemehrt, ihren Blutkreislauf befördert. Die Welt ist heller geworden seit dem Tage, da der junge Stenograph des Parlaments zur Feder griff, um von Menschen und Schicksalen zu schreiben. Er hat seiner Zeit die Freude gerettet und den späteren Generationen den Frohsinn jenes »merry old England«, des England zwischen den Napoleonkriegen und dem Imperialismus. Nach vielen Jahren wird man noch zurückschauen nach dieser dann schon altväterischen Welt mit ihren seltsamen, verlorenen Berufen, die längst im Mörser des Industrialismus zerpulvert sein werden, wird sich vielleicht hineinsehnen in dies Leben, das arglos war, voll von einfachen, stillen Heiterkeiten. Dickens hat dichterisch die Idylle Englands geschaffen – das ist sein Werk. Achten wir dieses Leise, das Zufriedene nicht zu gering gegenüber dem Gewaltigen: auch die Idylle ist ein Ewiges, eine uralte Wiederkehr. Das Georgikon oder Bukolikon, das Gedicht des fliehenden, vom Schauer des Begehrens ausruhenden Menschen ist hier erneut, so wie es immer im Umschwung der Generationen wieder sich erneuern wird. Es kommt, um wieder zu vergehen, die Atempause zwischen den Erregungen, das Kraftgewinnen vor oder nach der Anstrengung, die Sekunde der Zufriedenheit im rastlos hämmernden Herzen. Andere schaffen die Gewalt, andere die Stille. Charles Dickens hat einen Augenblick der Stille in der Welt zum Gedicht gefügt. Heute ist das Leben wieder lauter, die Maschinen dröhnen, die Zeit saust in rascherem Umschwung. Aber die Idylle ist unsterblich, weil sieLebensfreude ist; sie kehrt wieder wie der blaue Himmel hinter den Wettern, die ewige Heiterkeit des Lebens nach allen Krisen und Erschütterungen der Seele. Und so wird auch Dickens immer wieder aus seiner Vergessenheit wiederkehren, wenn Menschen der Fröhlichkeit bedürftig sind und, ermattet von den tragischen Anspannungen der Leidenschaft, auch aus den leiseren Dingen die geisterhafte Musik des Dichterischen werden vernehmen wollen.

 
     
    Dostojewski
    Daß du nicht enden kannst,
das macht dich groß.
    Goethe, Westöstlicher Divan
    Einklang
    Es ist schwer und verantwortungsvoll, von Fedor Michailowitsch Dostojewski und seiner Bedeutung für unsere innere Welt würdig zu sprechen
    , denn dieses Einzigen Weite und Gewalt will ein neues Maß.
    Ein umschlossenes Werk, einen Dichter vermeinte erstes Nahen zu finden und entdeckt Grenzenloses, einen Kosmos mit eigen kreisenden Gestirnen und anderer Musik der Sphären. Mutlos wird der Sinn, diese Welt jemals restlos zu durchdringen: zu fremd ist erster Erkenntnis ihre Magie, zu weit ins Unendliche verwölkt ihr Gedanke, zu fremd ihre Botschaft, als daß die Seele

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