Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski
Legende, ein Heros und ein Heiliger. Jenes Zwielicht von Wahrheit und Ahnung, das die erhabenen Lebensbilder Homers, Dantes und Shakespeares umwittert, entirdischt uns auch sein Antlitz. Nicht aus Dokumenten, sondern einzig aus wissender Liebe läßt sich sein Schicksal gestalten.
Allein also und führerlos muß man hinab in das Herz dieses Labyrinths zu tasten suchen und den Faden Ariadnes, der Seele, vom Knäuel der eigenen Lebensleidenschaft ablösen. Denn je tiefer wir uns in ihn versenken, desto tiefer fühlen wir uns selbst. Nur wenn wir an unser wahres allmenschliches Wesen hinangelangen, sind wir ihm nah. Wer viel von sich selbst weiß, weiß auch viel von ihm, der wie kaum einer das letzte Maß aller Menschlichkeit gewesen. Und dieser Gang in sein Werk führt durch alle Purgatorien der Leidenschaft, durch die Hölle der Laster, führt über alle Stufen irdischer Qual: Qual des Menschen, Qual der Menschheit, Qual des Künstlers und der letzten, der grausamsten, der Gottesqual. Dunkel ist der Weg, und von innen muß man glühen in Leidenschaft und Wahrheitswillen, um nicht in die Irre zu gehen: unsere eigene Tiefe erst müssen wir durchwandern, ehe wir uns in die seine wagen. Er sendet keine Boten, einzig das Erlebnis führt Dostojewski zu. Und er hat keine Zeugen, keine anderen als des Künstlers mystische Dreieinheit in Fleisch und Geist: sein Antlitz, sein Schicksal und sein Werk.
Das Antlitz
Sein Antlitz scheint zuerst das eines Bauern. Lehmfarben, fast schmutzig falten
sich die eingesunkenen Wangen, zerpflügt von vieljährigem Leid, dürstend und versengt spannt sich mit vielen Sprüngen die rissige Haut, der jener Vampir zwanzigjährigen Siechtums Blut und Farbe entzogen. Rechts und links starren, zwei mächtige Steinblöcke, die slawischen Backenknochen heraus, den herben Mund, das brüchige Kinn überwuchert wirrer Busch von Bart. Erde, Fels und Wald, eine tragisch elementare Landschaft, das sind die Tiefen von Dostojewskis Gesicht. Alles ist dunkel, irdisch und ohne Schönheit in diesem Bauern- und beinahe Bettlerantlitz; flach und farblos, ohne Glanz dunkelt es hin, ein Stück russische Steppe auf Stein versprengt. Selbst die Augen, die tief eingesenkten, vermögen aus ihren Klüften nicht diesen mürben Lehm zu erleuchten, denn nicht nach außen schlägt klar und blendend ihre gerade Flamme, gleichsam nach innen ins Blut hinein brennen zehrend ihre spitzen Blicke. Wenn sie sich schließen, stürzt der Tod sofort über dies Gesicht, und die nervöse Hochspannung, die sonst die mürben Züge zusammenhält, sinkt nieder ins lethargisch Unbelebte.
Wie sein Werk ruft dies Antlitz erst das Grauen vom Reigen der Gefühle
auf, dem sich zögernd Scheu und dann leidenschaftlich, in wachsender Bezauberung, Bewunderung gesellt. Denn nur die irdische Niederung, die fleischliche, seines Antlitzes dämmert hin in dieser düster-erhabenen naturhaften Trauer. Aber wie eine Kuppel, weißstrahlend und gewölbt, hebt sich ragend über dem engen bäuerischen Gesicht die aufstrebende Rundung der Stirne: aus Schatten und Dunkel steigt blank und gehämmert der geistige Dom: harter Marmor über den weichen Lehm des Fleisches, das wüste Dickicht des Haares. Alles Licht strömt in diesem Antlitz nach oben, und blickt man in sein Bild, so fühlt man immer nur sie, diese breite mächtige, königliche Stirne, sie, die immer strahlender leuchtet und sich zu weiten scheint, je mehr das alternde Antlitz in Krankheit vergrämt und vergeht. Wie ein Himmel steht sie hoch und unerschütterlich über der Hinfälligkeit des gebrestigenKörpers, Glorie von Geist über irdischer Trauer. Und auf keinem Bilde leuchtet dies heilige Gehäuse des sieghaften Geistes glorreicher als von jenem des Totenbetts, da die Lider schlaff über die gebrochenen Augen gefallen sind, die entfärbten Hände, fahl und doch fest, das Kreuz gierig umfassen (jenes arme kleine Holzkruzifix, das einst eine Bäuerin dem Zuchthäusler schenkte). Da strahlt sie wie morgens die Sonne über nächtiges Land nieder auf das entseelte Antlitz und kündet mit ihrem Glanz die gleiche Botschaft wie alle seine Werke: daß der Geist und der Glaube ihn erlösten vom dumpfen niederen und körperlichen Leben. In letzter Tiefe ist immer Dostojewskis letzte Größe: und nie spricht sein Antlitz stärker als aus seinem Tod
Die Tragödie seines Lebens
Non vi si pensa quanto sangue costa.
Dante
Immer ist bei Dostojewski Grauen der erste Eindruck und der zweite erst Größe.
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