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Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski

Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski

Titel: Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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und Entbehrung, sind seine letzten, die gewaltigsten Romane entstanden. Auf der Kippe zwischen Tod und Wahnsinn, nachtwandlerisch sicher, steigt sein Schaffen noch gewaltig empor, und aus diesem ständigen Sterben erwächst dem ewig Auferstandenen jene dämonische Kraft, das Leben gierig zu umklammern, um ihm sein Höchstes an Gewalt und Leidenschaft zu entpressen.
    Dieser Krankheit, diesem dämonischen Verhängnis dankt Dostojewskis Genie so viel wie Tolstoi seiner Gesundheit. Sie hat ihn emporgeschwungen zu konzentrierten Gefühlszuständen, wie sie dem normalen Empfinden nicht gegebensind, hat ihm geheimnisvollen Blick verliehen in die Unterwelt des Gefühles und die Zwischenreiche der Seele. Wie Odysseus, der Vielgewanderte, Botschaft vom Hades, so bringt er, der einzig wach Wiederkehrende, peinlichste Beschreibung aus dem Land der Schatten und Flammen und bezeugt mit seinem Blut und dem kalten Schauer seiner Lippen die Existenz ungeahnter Zustände zwischen Leben und Tod. Dank seiner Krankheit gelingt ihm das Höchste der Kunst, das Stendhal einmal formulierte, »d'inventer des sensations inédites«, Gefühle, die bei uns alle im Keim vorhanden sind und nur infolge der kühlen Klimatik unseres Blutes nicht zu voller Reife kommen, in voller tropischer Entfaltung darzustellen. Die Feinhörigkeit des Kranken läßt ihn die letzten Worte der Seele erlauschen, ehe sie ins Delirium sinkt, und eine mystische Scharfsichtigkeit in den Sekunden des Vorgefühls zeugt bei ihm seherische Gabe des zweiten Gesichts, die Magie des Zusammenhangs. O wunderbare Verwandlung, fruchtbar in allen Krisen des Herzens! Der Künstler Dostojewski zwingt sich alle Gefahr in Besitz um, und auch der Mensch gewinnt nur neue Größe aus neuem Maß. Denn für ihn bedeuten Glück und Leid, die Endpunkte des Gefühls, eine ungleich gesteigerte Intensität, er mißt nicht mit den gemeinen Werten des durchschnittlichen Lebens, sondern mit den siedenden Graden seiner eigenen Phrenesie. Das Maximum an Glück, einem andern ist es Genuß einer Landschaft, Besitz einer Frau, Gefühl der Harmonie, immer aber durch irdische Zustände verstatteter Besitz. Bei Dostojewski sind die Siedepunkte des Empfindens schon im Unerträglichen, im Tödlichen. Sein Glück ist Spasma, der schäumende Krampf, seine Qual die Zerschmetterung, der Kollaps, der Zusammenbruch: immer aber blitzartig komprimierte essentielle Zustände, die im Irdischen keine Dauer haben können. Wer im Leben ständig den Tod erlebt, kennt ein urmächtigeres Grauen als der Normale, wer die körperlose Schwebe gefühlt, eine höhere Lust als ein Körper, der nie die harte Erde ließ. Sein Begriff von Glück meint die Verzückung, sein Begriff von Qual die Vernichtung. Darum hat auch das Glück seiner Menschen nichts von einer gesteigerten Heiterkeit, sondern es flimmert undbrennt wie Feuer, es zittert von verhaltenen Tränen und schwült von Gefahr, es ist ein unerträglicher, undauerhafter Zustand, ein Leiden mehr als ein Genießen. Seine Qual wiederum hat etwas, das den gemeinen Zustand von dumpfer, würgender Angst, von Last und Grauen schon überbrückt hat, eine eiskalte, beinahe lächelnde Klarheit, eine teuflische Gier der Bitterkeit, die keine Träne kennt, ein trockenes, kollerndes Lachen und ein dämonisches Grinsen, in dem wiederum beinahe schon Lust ist. Nie war vor ihm die Gegensätzlichkeit des Gefühles ähnlich weit aufgerissen, nie die Welt so schmerzhaft weit gespannt wie zwischen diesem neuen Pol der Ekstase und Zernichtung, die er jenseits aller gewohnten Maße von Glück und Leiden gestellt hat.
    In dieser Polarität, die ihm das Schicksal aufgeprägt hat, und nur aus ihr ist Dostojewski zu verstehen. Er ist das Opfer eines zwiespältigen Lebens und – als leidenschaftlicher Bejaher seines Schicksals – darum Fanatiker seines Kontrastes. Die Heißglut seines künstlerischen Temperaments entsteht einzig aus der fortwährenden Reibung dieser Gegensätze, und statt sie zu vereinen, reißt der Maßlose in ihm den eingeborenen Zwiespalt immer weiter auseinander zu Himmel und Hölle. Dostojewski, der Künstler, ist das vollkommenste Gegensatzprodukt, der größte Dualist der Kunst und vielleicht der Menschheit. Symbolisch bringt eins seiner Laster diesen Urwillen seiner Existenz in sichtbare Form: seine krankhafte Liebe zum Glücksspiel. Der Knabe schon ist leidenschaftlicher Kartenspieler, aber erst in Europa lernt er den Teufelsspiegel seiner Nerven kennen: das Rouge et Noir,

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