Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski
Körpernot Dostojewski treu bis in die letzte Stunde. Seltsam aber: niemals lehnt sich der Gemarterte mit einem Wort gegen die Prüfung auf. Nie klagt er über sein Gebrechen wie Beethoven über seine Taubheit, Byron über seinen verkürzten Fuß, Rousseau über sein Blasenleiden, ja nirgends ist bezeugt, daß er jemals ernstlich dagegen Heilung gesucht habe. Getrost darf man das Unwahrscheinliche als gewiß nehmen, daß er mit jenem unendlichen amor fati diese seine Krankheit liebte, als Schicksal liebte wie jedes seiner Laster und Gefahren. Die Spürsucht des Dichters bändigt das Leiden des Menschen: Dostojewski wird Herr seines Leidens, indemer es belauscht. Die äußerste Gefahr seines Lebens, die Epilepsie, er verwandelt sie in ein höchstes Geheimnis seiner Kunst: eine nie gekannte geheimnisvolle Schönheit saugt er aus diesen Zuständen, die wundervoll in den Augenblicken taumelnden Vorgefühls gesammelte Ichekstase. In ungeheuerlichster Abbreviatur ist hier der Tod mitten im Leben erlebt und in dieser einen Sekunde vor dem jedesmaligen Sterben, die stärkste, berauschendste Essenz des Seins, die pathologisch gesteigerte Anspannung des »Sichselbstempfindens«. Wie ein magisches Symbol bringt ihm das Schicksal immer wieder seinen intensivsten Lebensaugenblick, die Minute am Semenowski-Platz, ins Blut zurück, als sollte er niemals den grausigen Kontrast zwischen dem All und dem Nichts in seinem Gefühl verlernen. Auch hier schnürt immer Dunkel den Blick, auch hier stürzt wie Wasser aus übervoller, gebeugter Schale die Seele dem Körper aus, schon zittert sie mit gespannten Flügeln zu Gott empor, schon spürt sie überirdisches Licht auf den entkörperten Schwingen, Strahl und Gnade einer anderen Welt, schon sinkt die Erde, schon tönen die Sphären – da stürzt ihn der Donner des Erwachens wieder zerbrochen ins gemeine Leben hinab. Immer wenn Dostojewski diese eine Minute beschreibt, das traumhafte Glücksgefühl, das seine unerhörte Scharfsichtigkeit beobachtend beseelt, wird seine Stimme leidenschaftlich in Rückerinnerung und der Augenblick des Grauens zum Hymnus: »Ihr gesunden Menschen, ihr ahnt nicht«, predigt er begeistert, »welches Wonnegefühl den Epileptiker eine Sekunde vor dem Anfall durchdringt. Mohammed erzählt im Koran, er sei im Paradies gewesen in der kurzen Frist, da sein Krug umstürzte und das Wasser ausrann, und alle klugen Narrenköpfe behaupten, er sei ein Lügner und Betrüger. Das ist aber nicht wahr, er lügt nicht. Sicher war er im Paradies während eines epileptischen Anfalls, einer Krankheit, an der er, wie ich selber, litt. Ich weiß nie, ob diese Wonnesekunde Stunden dauert, aber glaubt mir, alle Freude des Lebens möchte ich nicht dafür eintauschen.«
In dieser glühenden Sekunde geht Dostojewskis Blick über das einzelne der Welt hinaus und umfaßt in loderndemAllgefühl die Unendlichkeit. Aber was er verschweigt, ist die bittere Züchtigung, mit der er jede dieser krampfhaften Annäherungen an Gott bezahlt. Ein grauenhafter Zusammenbruch klirrt die kristallenen Sekunden in reißende Scherben, mit zerbrochenen Gliedern und stumpfen Sinnen stürzt er, ein anderer Ikarus, in die irdische Nacht zurück. Das Gefühl, noch geblendet vom unendlichen Licht, tastet sich mühsam im Gefängnis des Körpers zurecht, wie Würmer kriechen die Sinne blind am Boden des Seins, die eben mit seligen Schwingen Gottes Antlitz umfingen. Dostojewskis Zustand nach jedem Anfall ist ein fast idiotisches Dämmern, dessen ganzes Grauen er sich selbst im Fürsten Myschkin mit flagellantischer Deutlichkeit ausgemalt hat. Er liegt im Bett mit zerschlagenen, oft zerstoßenen Gliedern, die Zunge gehorcht nicht dem Laut, die Hand nicht der Feder, mürrisch und niedergeschlagen wehrt er sich gegen alle Gemeinschaft. Die Helligkeit des Gehirns, das tausend Einzelheiten eben in harmonischer Verkürzung umfaßte, ist zerschellt, er weiß sich der nächsten Dinge nicht mehr zu erinnern. Einmal, nach einem Anfall während der Niederschrift »Dämonen«, fühlt er mit Grauen, daß ihm nichts mehr bewußt ist von all den Geschehnissen der eigenen Erfindung; selbst den Namen des Helden hat er vergessen. Erst mühsam lebt er sich wieder in die Gestaltung hinein, treibt die erschlaffenden Visionen mit drängendem Willen wieder zu voller Glut auf, bis – bis ihn eben ein neuer Anfall hinschmettert. So, das Grauen der Fallsucht im Rücken, den bitteren Nachgeschmack des Todes auf den Lippen, gehetzt von Not
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