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Dreizehnhundert Ratten

Dreizehnhundert Ratten

Titel: Dreizehnhundert Ratten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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täglich am See begegneten, gemeinsam Cocktails im Clubhaus tranken und uns in dem gemeinsamen Gefühl sonnten, dass jeder für sich die richtige Entscheidung getroffen hatte, sein Leben lieber nicht durch die Bürde von Kindern zu komplizieren.) »Gerard«, sagte ich. »Hallo. Wie geht’s dir?«
    Er sagte nichts. Er sah dünner aus als sonst, regelrecht ausgezehrt. Ich fragte mich, ob an den Gerüchten, er esse nicht mehr regelmäßig, vernachlässige sein Äußeres und gebe sich ganz der Verzweiflung hin, womöglich etwas dran sei.
    »Ich bin gerade vorbeigekommen und dachte, ich schaue mal rein«, sagte ich und rang mir ein Lächeln ab, obwohl mir gar nicht nach lächeln zumute war, und ich begann, mir zu wünschen, ich wäre zu Hause geblieben und hätte meinen Nächsten in Ruhe leiden lassen. »Und ich hab Tim und Tim II mitgebracht.« Die Hunde hörten ihre Namen, kamen aus den halberfrorenen Büschen zum Vorschein, sprangen vor der Tür herum und steckten ihre langen, feuchten Schnauzen durch den Türspalt.
    Gerards Stimme war rauh. »Ich bin allergisch gegen Hunde«, sagte er.
    Zehn Minuten später, als wir die Begrüßungsfloskeln hinter uns hatten und ich auf dem mit Krimskrams übersäten Sofa vor dem kalten Kamin saß, während Tim und Tim II winselnd auf der Vorderveranda warteten, sagte ich: »Und wie wär’s mit einer Katze?« Und weil ich entsetzt war über den Zustand, in dem er sich befand – seine Kleider waren schmuddelig, er stank, und im Haus sah es aus wie in der Eingangshalle eines Obdachlosen-asyls –, zitierte ich die Statistik meiner Frau über das Lächeln von Haustierbesitzern.
    »Gegen Katzen bin ich auch allergisch«, sagte er. Er hockte unbequem auf der schrägen Kante eines Schaukelstuhls, und seine Augen schienen mein Gesicht nicht finden zu können. »Aber ich verstehe deine Sorge und weiß sie zu schätzen. Du bist auch nicht der erste – vor dir war schon ein halbes Dutzend Leute hier, die mir alles mögliche aufschwatzen wollten: Nudelsalat, einen gekochten Schinken, Profiteroles oder Haustiere. Siamesische Kampffische, Hamster, junge Katzen. Neulich hat Mary Martinson mich an der Post abgefangen, mich am Arm gepackt und mir einen viertelstündigen Vortrag über die Vorzüge von Emus gehalten. Das muss man sich mal vorstellen.«
    »Ich komme mir dumm vor«, sagte ich.
    »Nein, das musst du nicht. Ihr alle habt ja recht: Ich sollte langsam wirklich die Kurve kriegen. Und mit dem Haustier hast du auch recht.« Er erhob sich von dem Stuhl, der hinter ihm heftig vor und zurück schaukelte. Er trug eine fleckige weiße Kordhose und ein Sweatshirt, in dem er so hager wirkte wie der Massai, den meine Frau und ich im vergangenen Frühjahr auf der Safari in Kenia fotografiert hatten. »Ich zeig dir was«, sagte er und bahnte sich seinen Weg zwischen den überall herumliegenden schiefen Stapeln aus Zeitungen und Zeitschriften hindurch zum hinteren Flur. Ich saß da und fühlte mich unbehaglich: Würde ich auch so werden, wenn meine Frau vor mir starb? Aber ich war auch neugierig. Und sah mich, auf eine eigenartige Weise, bestätigt. Gerard Loomis hatte ein Haustier, das ihm Gesellschaft leistete: Mission erfüllt.
    Als er wieder ins Zimmer trat, dachte ich zunächst, er hätte eine auffällig gemusterte Jacke angezogen, doch dann zuckte ich überrascht zusammen, denn ich erkannte, dass er sich eine Schlange umgelegt hatte: Sie lag über seinen Schultern und hing rechts und links länger herunter als seine Arme. »Es ist ein Python«, sagte er. »Aus Burma. Sie werden bis zu acht Meter lang. Der hier ist noch ein Baby.«
    Ich muss irgend etwas gesagt haben, doch ich erinnere mich nicht mehr, was es war. Nicht dass ich schreckliche Angst gehabt hätte oder so. Es war nur so, dass eine Schlange nicht gerade das war, was wir uns vorgestellt hatten. Schlangen jagten keinen Bällen nach, sprangen nicht freudig japsend in den Wagen, sie gaben nicht Laut, wenn man einen Kauknochen am ausgestreckten Arm hielt und einladend schwenkte. Soviel ich wusste, bestand ihre Tätigkeit hauptsächlich darin zu existieren. Und zu beißen.
    »Na, was sagst du jetzt?« sagte er. Seiner Stimme fehlte jede Begeisterung, als versuchte er, sich selbst zu überzeugen.
    »Nett«, sagte ich.
    Ich weiß nicht, warum ich diese Geschichte erzähle. Vielleicht weil das, was mit Gerard geschehen ist, wohl mit jedem von uns geschehen könnte, besonders wenn wir und unsere Partner älter werden und wir zunehmend die

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