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Dreizehnhundert Ratten

Dreizehnhundert Ratten

Titel: Dreizehnhundert Ratten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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vermehren … Ich meine, die Weibchen werden schon mit fünf Wochen rollig oder wie man das nennt. Mit fünf Wochen .« Er ging an Gerard vorbei und bedeutete ihm zu folgen. Vor einem Regal mit abgepacktem Futter und bunten Säcken voller Streu blieben sie stehen. »Sie werden Rattenfutter brauchen«, sagte Bozeman und drückte Gerard eine Fünf-Kilo-Tüte in die Hand, »und ein, zwei Säcke Sägemehl.« Ein weiterer Blick. »Haben Sie einen Käfig?«
    Als Gerard das Geschäft verließ, hatte er zwei Drahtkäfige (mit Zedernholzboden, damit die Ratten keine Stolperfüße bekamen, was immer das auch sein mochte), zehn Kilo Rattenfutter, drei Säcke Streu und zwei extragroße Pappschachteln mit jeweils fünf Ratten gekauft. Und dann war er wieder zu Hause und schloss die Tür, und im selben Augenblick tauchte Robbie aus einer Höhle unter den Sofakissen auf und rannte ihm entgegen, um ihn zu begrüßen. Und gleichzeitig gingen alle Lichter an.
    Es war Mitte April, als meine Frau und ich aus der Schweiz zurückkehrten. Tim und Tim II, die in unserer Abwesenheit von der Haushälterin versorgt worden waren, begrüßten uns außer sich vor Freude an der Tür und sprangen dann so ausgelassen im Wohnzimmer umher, dass es praktisch unmöglich war, unsere Koffer ins Haus zu bringen – erst mussten wir den beiden ein paar Leckerbissen geben, sie gründlich am Rücken kraulen und im Singsang mit den Kosenamen bedenken, an die sie gewöhnt waren. Nach all den Wochen in einer unpersönlichen Wohnung in Basel war es gut, wieder zu Hause zu sein, in einer echten Gemeinschaft. Ich stattete den Nachbarn Besuche ab und fand mich nach und nach wieder in den beruflichen und häuslichen Alltag hinein, und so dauerte es einige Wochen, bis mir Gerard einfiel. Außer Mary Martinson, die ihm auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums begegnet war, hatte ihn niemand gesehen, und sämtliche Einladungen zu Abendessen oder geselligem Beisammensein, zum Eislaufen auf dem See, ja sogar zum alljährlich im Frühjahr stattfindenden Wohltätigkeitsball im Clubhaus hatte er abgelehnt. Mary sagte, er habe geistesabwesend gewirkt, und sie habe versucht, eine Unterhaltung mit ihm zu beginnen, denn sie habe gedacht, er sei noch immer in der ersten Phase der Trauer und brauche nur einen kleinen Stups, um wieder Tritt zu fassen, doch er habe sie kurz abgefertigt. Und sie sage es nicht gern, aber er sei ungekämmt gewesen und habe schlimmer gerochen als je zuvor. Selbst an der frischen Luft, am offenen Kofferraum seines Wagens, der – das sei ihr geradezu ins Auge gesprungen – bis zum Rand mit Säcken voller Rattenfutter beladen gewesen sei, selbst in der leisen Brise und spätwinterlichen Kälte habe er einen penetranten Gestank nach Trauer und Schweiß verströmt. Sie finde, jemand müsse sich um ihn kümmern.
    Ich wartete bis zum Wochenende, und dann machte ich, wie im Dezember zuvor, mit den Hunden einen Spaziergang durch die breiten, freundlichen Straßen und den grünenden Wald, die Anhöhe hinauf und zu Gerards Haus. Es war ein herrlicher Tag, die Sonne stieg in den Zenit, Schmetterlinge flatterten durch die Blumengärten, und der leise Wind brachte einen Hauch von Süden mit. Meine Nachbarn verlangsamten die Fahrt und winkten, wenn sie vorbeifuhren, und einige hielten an, um bei laufendem Motor ein Schwätzchen zu halten. Carolyn Porterhouse drückte mir einen Strauß Tulpen und ein mysteriöses, keilförmiges, in Pergamentpapier gewickeltes Päckchen in den Arm, das sich als Emmentaler erwies – »Willkommen daheim«, sagte sie, und ihr Grinsen wurde gestützt durch eine Schicht aus magentarotem Lippenstift –, und Ed Saperstein hielt mitten auf der Straße an, um mir von einem Segeltörn zu den Bahamas zu erzählen, den seine Frau und er mit einer gecharterten Yacht gemacht hatten. Es war bereits nach eins, als ich vor Gerards Tür stand.
    Ich bemerkte gleich, dass sich nicht viel verändert hatte. Die Fenster waren schlierig vor Schmutz, und der Vorgarten, wo an den Rändern des ungemähten Rasens das Unkraut spross, sah so vernachlässigt aus wie zuvor. Die Hunde jagten im hohen Gras irgendein kleines Tier, und ich nahm den Blumenstrauß in die Hand, in der Absicht, ihn Gerard zu überreichen und ihn so vielleicht ein wenig aufzumuntern, und drückte auf den Klingelknopf. Drinnen rührte sich nichts. Ich versuchte es ein zweites Mal und ging dann an der Seite des Hauses entlang, um durch die Fenster zu spähen. Es war ja möglich, dass er krank

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