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Drucke Zu Lebzeiten

Drucke Zu Lebzeiten

Titel: Drucke Zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Tage zu ertragen; Samuel muß von seiner (überdies erfolgreichen und sehr geschätzten) Arbeit leben.
    Die beiden, obwohl Schulkollegen, sind während dieser be- schriebenen Reise zum erstenmal andauernd mit einander allein. Sie schätzen einander, obwohl sie einander unbegreiflich erschei- nen. Anziehung und Abstoßung wird vielartig gefühlt. Es wird beschrieben, wie sich dieses Verhältnis zunächst zu überhitzter Intimität anstachelt, dann nach manchen Zwischenfällen auf dem gefährlichen Boden von Mailand und Paris in männliches Ver- schließt damit, daß die beiden Freunde ihre Fähigkeiten zu einem neuen eigenartigen Kunstunternehmen vereinigen. Die vielen Nuancen, deren Freundschaftsbeziehungen zwi- schen Männern fähig sind, darzustellen und zugleich die berei- sten Länder durch eine widerspruchsvolle Doppelbeleuchtung in einer Frische und Bedeutung sehn zu lassen, wie sie oft mit Un- recht nur exotischen Gegenden zugeschrieben werden: ist der Sinn dieses Buches.

    Die erste lange Eisenbahnfahrt (Prag–Zürich)

    Samuel: Abfahrt 26. VIII. 9 Mittag  Uhr 2 Min.
      Richard: Beim Anblick Samuels, der in seinen be- kannten winzigen Taschenkalender etwas Kurzes ein- trägt, habe ich wieder die alte schöne Idee, jeder von uns solle ein Tagebuch über diese Reise führen. Ich sage es ihm. Er lehnt zuerst ab, dann stimmt er zu, er begründet beides, ich verstehe es beidemal nur oberflächlich, aber das macht nichts, wenn wir nur Tagebücher führen wer- den. – Jetzt lacht er schon wieder über mein Notizbuch, welches allerdings, in Glanzleinen schwarz eingebun- den, neu, sehr groß, quadratisch, eher einem Schulheft ähnelt. Ich sehe voraus, daß es schwer und jedenfalls lästig sein wird, dieses Heft während der ganzen Reise in der Tasche zu tragen. Übrigens kann ich mir auch in Zürich mit ihm zugleich ein praktisches kaufen. Er hat auch eine Füllfeder. Ich werde mir sie hie und da aus- borgen.
       Samuel: In einer Station unserem Fenster gegenüber ein Waggon mit Bäuerinnen. Im Schöße einer, die lacht, schläft eine. Aufwachend winkt sie uns, unanständig in ihrem Halbschlaf: „Komm". Als verspotte sie uns, weil wir nicht hinüberkönnen. Im Nebenkoupee eine dunkle, heroische, ganz unbeweglich. Den Kopf tief zurückge- lehnt schaut sie entlang der Scheibe hinaus. Delphische Sibylle.
       Richard: Aber was mir nicht gefällt, ist sein anknüp- fenscher, fälschlich Vertrautheit vorgebender, fast liebe- dienerischer Gruß an die Bäuerinnen. Nun setzt sich gar der Zug in Bewegung und Samuel bleibt mit seinem zu groß angefangenen Lächeln und Mützeschwenken allein. – Übertreibe ich nicht? – Samuel liest mir seine erste Bemerkung vor, sie macht auf mich einen großen Ein- druck. Ich hätte auf die Bäuerinnen mehr Acht geben sollen. – Der Kondukteur fragt, übrigens sehr undeut- lich, als hätte er es mit lauter Leuten zu tun, die diese Strecke schon oft gefahren sind, ob jemand für Pilsen Kaffee bestellen wolle. Bestellt man, so klebt er einen schmalen grünen Zettel für jede Portion ans Koupeefen- ster, so wie in Misdroy ehemals, so lange es keine Lan- dungsbrücke gab, der ferne Dampfer durch Wimpel die Zahl der Boote, die zum Ausbooten benötigt wurden, anzeigte. Samuel kennt Misdroy gar nicht. Schade, daß ich nicht mit ihm dort war. Es war damals sehr schön. Diesmal wird es auch wunderbar schon werden. Die Fahrt ist zu schnell, es vergeht zu rasch; die Begierde nach weiten Reisen, die ich jetzt habe! – Welch ein alter- tümlicher Vergleich ist der obige, da seit fünf Jahren der Landungssteg in Misdroy steht. – Der Kaffee in Pilsen auf dem Perron. Man muß ihn mit Zettel nicht nehmen und bekommt ihn auch ohne.
    Samuel: Vom Perron aus sehn wir ein fremdes Mäd- chen aus unserem Koupee herausschauen, die spätere Dora Lippen. Hübsch, dicknasig, kleiner Halsausschnitt in weißer Spitzenbluse. Erste gemeinschaftliche Tatsache bei der Weiterfahrt: ihr großer Hut in seiner Papierhülle schwebt aus dem Gepäcknetz leicht auf meinen Kopf herab. – Wir erfahren, daß sie die Tochter eines nach Innsbruck versetzten Offziers ist und zu ihren Eltern fährt, die sie schon so lange nicht gesehn hat. Sie arbeitet in einem technischen Bureau in Pilsen, den ganzen Tag, hat sehr viel zu tun, aber es macht ihr Freude, sie ist sehr zufrieden mit ihrem Leben. Im Bureau heißt sie: unser Nesthäkchen, unsere kleine Schwalbe. Sie ist dort unter lauter Männern, die jüngste. O es

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