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Drucke Zu Lebzeiten

Drucke Zu Lebzeiten

Titel: Drucke Zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Aussicht auf Erfolg haben könnte. An wen ich mich dabei zuerst wenden müßte, war mir klar: an den Kommandanten natürlich. Sie ha- ben es mir noch klarer gemacht, ohne aber etwa meinen Entschluß erst befestigt zu haben, im Gegenteil, Ihre ehrliche Überzeugung geht mir nahe, wenn sie mich auch nicht beirren kann."
       Der Offzier blieb stumm, wendete sich der Maschine zu, faßte eine der Messingstangen und sah dann, ein wenig zurückgebeugt, zum Zeichner hinauf, als prüfe er, ob alles in Ordnung sei. Der Soldat und der Verurteilte schienen sich miteinander befreundet zu haben; der Ver- urteilte machte, so schwierig dies bei der festen Ein- schnallung durchzuführen war, dem Soldaten Zeichen; der Soldat beugte sich zu ihm; der Verurteilte flüsterte ihm etwas zu, und der Soldat nickte.
       Der Reisende ging dem Offzier nach und sagte: „Sie wissen noch nicht, was ich tun will. Ich werde meine An- sicht über das Verfahren dem Kommandanten zwar sagen, aber nicht in einer Sitzung, sondern unter vier Augen; ich werde auch nicht so lange hier bleiben, daß ich irgend- einer Sitzung beigezogen werden könnte; ich fahre schon morgen früh weg oder schiffe mich wenigstens ein."
       Es sah nicht aus, als ob der Offzier zugehört hatte. „Das Verfahren hat Sie also nicht überzeugt", sagte er für sich und lächelte, wie ein Alter über den Unsinn eines Kindes lächelt und hinter dem Lächeln sein eigenes wirkliches Nachdenken behält.
       „Dann ist es also Zeit", sagte er schließlich und blickte plötzlich mit hellen Augen, die irgendeine Aufforde- rung, irgendeinen Aufruf zur Beteiligung enthielten, den Reisenden an.
       „Wozu ist es Zeit?" fragte der Reisende unruhig, be- kam aber keine Antwort.
       „Du bist frei", sagte der Offzier zum Verurteilten in dessen Sprache. Dieser glaubte es zuerst nicht. „Nun, frei bist du", sagte der Offzier. Zum erstenmal bekam das Gesicht des Verurteilten wirkliches Leben. War es Wahrheit? War es nur eine Laune des Offziers, die vor- übergehen konnte? Hatte der fremde Reisende ihm Gnade erwirkt? Was war es? So schien sein Gesicht zu fragen. Aber nicht lange. Was immer es sein mochte, er wollte, wenn er durfte, wirklich frei sein und er begann sich zu rütteln, soweit es die Egge erlaubte.
       „Du zerreißt mir die Riemen", schrie der Offzier, „sei ruhig! Wir öffnen sie schon." Und er machte sich mit dem Soldaten, dem er ein Zeichen gab, an die Arbeit. Der Verurteilte lachte ohne Worte leise vor sich hin, bald wendete er das Gesicht links zum Offzier, bald rechts zum Soldaten, auch den Reisenden vergaß er nicht.
       „Zieh ihn heraus", befahl der Offzier dem Soldaten. Es mußte hiebei wegen der Egge einige Vorsicht an- gewendet werden. Der Verurteilte hatte schon infolge seiner Ungeduld einige kleine Rißwunden auf dem Rücken.
       Von jetzt ab kümmerte sich aber der Offzier kaum mehr um ihn. Er ging auf den Reisenden zu, zog wieder die kleine Ledermappe hervor, blätterte in ihr, fand schließlich das Blatt, das er suchte, und zeigte es dem Reisenden. „Lesen Sie", sagte er. „Ich kann nicht", sagte der Reisende, „ich sagte schon, ich kann diese Blätter nicht lesen." „Sehen Sie das Blatt doch genau an", sagte der Offzier und trat neben den Reisenden, um mit ihm zu lesen. Als auch das nichts half, fuhr er mit dem klei- nen Finger in großer Höhe, als dürfe das Blatt auf keinen Fall berührt werden, über das Papier hin, um auf diese Weise dem Reisenden das Lesen zu erleichtern. Der Rei- sende gab sich auch Mühe, um wenigstens darin dem Offzier gefällig sein zu können, aber es war ihm un- möglich. Nun begann der Offzier die Aufschrift zu buchstabieren und dann las er sie noch einmal im Zu- sammenhang. „ ‚Sei gerecht!' – heißt es", sagte er, „jetzt können Sie es doch lesen." Der Reisende beugte sich so tief über das Papier, daß der Offzier aus Angst vor einer Berührung es weiter entfernte; nun sagte der Reisende zwar nichts mehr, aber es war klar, daß er es noch immer nicht hatte lesen können. „,Sei gerecht!' – heißt es", sagte der Offzier nochmals. „Mag sein", sagte der Rei- sende, „ich glaube es, daß es dort steht." „Nun gut", sagte der Offzier, wenigstens teilweise befriedigt, und stieg mit dem Blatt auf die Leiter; er bettete das Blatt mit großer Vorsicht im Zeichner und ordnete das Räderwerk scheinbar gänzlich um; es war eine sehr mühselige Ar- beit, es mußte sich auch um ganz kleine Räder

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