Druidenherz
diese natürlichen Anlagen verstärkte. So etwas funktioniert nur, wenn schon entsprechende Talente vorhanden sind. Das ist bei den großen Magiern immer so.«
»Das alles trifft aber nicht auf mich zu.«
»Vielleicht doch. Diese Fähigkeiten können über Generationen hinweg schlummern und trotzdem weitervererbt werden, ohne dass jemand davon weiß. Wenn deine Mutter sie besaß und dich von einem Mann empfing, der ebenfalls welche in sich trug, hast du sie.«
»Eine schöne Theorie. Aber meine Mutter war nie in Annwn. Sonst wäre sie doch hier. Oder nicht?« Das wäre zu schön. Ebenso, wenn Tante Mable es geschafft hätte. Imogen wünschte sich so sehr, ihr wenigstens mitteilen zu können, dass es ihr gut ging. Dass sie nicht tot war, sondern glücklich mit dem Mann lebte, den sie über alles liebte. Eine Träne löste sich, eine zweite folgte. Imogen schniefte. Sie wollte nicht schon wieder weinen, denn es ließ sich ja nichts ändern – all ihre Verwandten waren tot. Sie wusste nicht einmal, wo sich Tante Mables Grab befand. Die Nachricht von ihrem Tod hatte sie so erschreckt, dass sie keine weiteren Nachforschungen angestellt hatte. Auch nicht darüber, wie ihre Tante ums Leben gekommen war. Sehr alt war sie noch nicht gewesen. Ob sie bis zuletzt gearbeitet hatte? Durch das Erbe hätte sie das nicht gemusst, aber als Imogen größer wurde, hatte sie dennoch eine Halbtagsstelle bei der Stadtverwaltung angenommen.
Zärtlich wischte Dian ihr die Tränen fort. »Nicht jeder kommt nach seinem Tod in die Anderswelt. Und manche müssen dafür nicht einmal sterben. So wie du.« Er küsste sie.
»Ja. Aber es wäre so schön, wenn ich meine Tante oder vielleicht sogar meine Mutter sehen könnte. Wenn ich sie wissen lassen könnte, dass es mir gut geht, dass ich glücklich bin. Ich weiß, dass sich Tante Mable bis zu ihrem Tod Gedanken um mich gemacht hat.« Die Vorstellung war schrecklich. Hoffentlich hatte Tante Mable ihr Leben ohne sie in den Griff bekommen und nicht jahrelang getrauert oder sich gar Vorwürfe gemacht. Vielleicht war sie selbst glücklich geworden. Dass es einen Mann in ihrem Leben gegeben hatte, glaubte Imogen zwar nicht, aber Freunde hatte ihre Tante schon damals viele gehabt. Vielleicht hatten die ihr geholfen, über das Verschwinden ihrer geliebten Nichte hinwegzukommen.
»Sie hat dich geliebt und dich zu dem Menschen gemacht, der du nun bist. Ich wünschte, ich könnte es dir ermöglichen, aber das steht leider nicht in meiner Macht.« In seinen Augen stand ein Ausdruck solch tiefen Bedauerns, dass Imogen schluckte. Sie wollte nicht, dass auch Dian traurig war oder sich um etwas grämte, das er nicht ändern konnte.
»Ist schon gut. Ich weiß ja, dass es nicht geht.«
»Aber dennoch wünschst du es dir. Das ist nur zu verständlich. Ich denke oft genauso.«
»Entschuldige, ich wollte keine alten Wunden aufreißen.« Er hatte seine Familie ebenso verloren wie sie, niedergemetzelt von seinen Feinden. Daran hatte sie, gefangen in ihrem eigenen Schmerz, nicht gedacht. Es musste schlimm für Dian gewesen sein, seine Heimat zerstört vorzufinden, all jene, die er kannte und liebte auf grausame Weise ermordet. Auch sein Leben hatte sich gravierend verändert. Er hatte es geschafft, sich eine neue Existenz aufzubauen. Mehr noch, er war zum Herrscher über einen großen Teil der Anderswelt geworden und hatte den Schmerz über den Verlust bewältigt, auch wenn Imogen spürte, wie sehr es ihn nach all der Zeit immer noch bewegte. Auch sie würde lernen, mit ihrem neuen Leben umzugehen, dessen war sie sich sicher. Die Trauer über das Verlorene würde jedoch nie vergehen.
Fest umschloss Dian ihre Hand mit seinen Fingern. »Sprich über das, was dich bewegt. Manchmal hilft das schon. Besonders, wenn man mit jemandem spricht, der einen liebt.«
Sie schluckte. Es tat gut, seine Worte zu hören und seine Berührung zu spüren. »Ich kann das alles noch gar nicht richtig begreifen.«
»Das wird sicherlich noch dauern. Aber du bist nicht allein. Ich bin bei dir, für immer. Ich werde dich nie wieder allein lassen.«
Imogen lächelte unter Tränen. »Alles hat sich so schnell verändert. Vor einigen Monaten – jedenfalls nach meiner Zeitrechnung – war ich nur eine einfache junge Studentin, glücklich über meinen guten Abschluss und mit Plänen für die Zukunft. Und dann …« Sie verstummte. Wie sollte sie in Worte fassen, was sie selbst kaum verstehen konnte?
»Und nun bist du eine Wanderin
Weitere Kostenlose Bücher