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Dshamila

Dshamila

Titel: Dshamila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tschingis Aitmatow
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verliefen die Ufer in der Ferne. Die Gebirgskämme stiegen in der Dunkelheit auf. Dort oben auf den Gipfeln war es still, ruhig leuchteten über ihnen die Sterne.
    Eigentlich wäre es für Danijar an der Zeit gewesen, im Ail Freundschaften zu schließen. Doch er blieb nach wie vor allein; ihm schienen die Begriffe Freundschaft und Feindschaft, Zuneigung und Haß fremd zu sein. Im Ail galt ein Dshigit aber nur dann etwas, wenn er für sich und andere eintreten konnte, wenn er fähig war, gute und manchmal auch böse Taten zu vollbringen, wenn er sich vor den Aksakalen nicht duckte und auf Gelagen oder Gedenkfeiern das Wort führte. Auch die Frauen schätzten nur solche Burschen. Wenn sich jedoch einer wie Daoijar stets abseits hielt und sich nicht um die Alltagsangelegenheiten des Ails kümmerte, dann beachtete man ihn einfach nicht mehr, oder man sagte herablassend von ihm: „Na ja, er schadet niemand, er nützt niemand, er lebt eben so dahin, der arme Tropf."
    Ein solcher Mensch war in der Regel Gegenstand des Spottes oder des Mitleids. Wir Halbwüchsigen, die wir immer älter erscheinen wollten, als wir waren, um den richtigen Dshigiten gleich zu sein, machten uns ständig über Danijar lustig, wenn auch nicht in seinem Beisein, so doch unter uns. Wir spotteten sogar darüber, daß er seine Bluse selber im Fluß wusch und sie noch feucht wieder anzog. Es war seine einzige.
    Sonderbarerweise aber geschah es nie, daß wir in der Unterhaltung mit dem stillen und duldsamen Danijar einen f amiliären Ton anschlugen. Das hatte seinen Grund nicht darin, daß er älter war als wir — genau betrachtet betrug der Unterschied zwischen ihm und uns ja höchstens drei oder vier Jahre, und wir machten sonst mit Männern seines Alters keine Umstände —‚ er behandelte uns auch nicht grob oder herablassend, was ja mitunter eine Art Hochachtung einflößt, nein, es lag etwas in seiner schweigsamen, finsteren Nachdenklichkeit, das uns, die wir sonst niemand verschonten, mit einer gewissen Scheu erfüllte.
    Vielleicht hatte ein Erlebnis mit ihm den Anlaß für unsere Zurückhaltung gegeben. Ich war sehr neugierig und fiel den Erwachsenen oft mit meinen Fragen lästig; die Frontsoldaten auszufragen war eine wahre Leidenschaft von mir. Als Danijar während der Heuernte bei uns auftauchte, suchte ich ständig nach einer Gelegenheit, um aus ihm, dem Neuankömmling, etwas herauszuholen.
    Eines Abends saßen wir nach der Arbeit am Feuer, aßen und ließen es uns wohl sein. „Danijar, erzähl uns doch etwas vom Krieg, bevor wir schlafen gehen", bat ich. Danijar schwieg zuerst und schien sogar gekränkt zu sein. Schließlich hob er den Kopf und sah uns an.
    „Vom Krieg, sagst du?" fragte er, und als antworte er auf seine eigenen Gedanken, fügte er tonlos hinzu: „Nein, es ist besser, ihr wißt nichts davon!"
    Dann wandte er sich ab, nahm eine Handvoll trockenen Unkrauts, warf es ins Feuer und schürte die Glut. Er sah keinen von uns an und sprach auch nicht mehr, als fürchte er, seine Selbstbeherrschung zu verlieren und etwas Verletzendes zu sagen. Doch schon durch seine wenigen Worte hatte er uns zu verstehen gegeben, daß der Krieg etwas war, worüber man nicht im Plauderton sprach, das keinen Stoff für unterhaltsame Geschichtchen vorm Schlafengehen abgab. Über den Krieg, der in des Menschen Adern das Blut erstarren ließ, redete es sich nicht so leicht. Ich schämte mich vor mir selbst. Und ich habe Danijar nie wieder nach dem Krieg gefragt.
    Doch nicht nur dadurch zwang er uns eine scheue Achtung ab. Der Abend war schnell vergessen, ebenso schnell, wie das Interesse der Ailbewohner für Daoijar erlosch. Seine Ungeselligkeit und Verschlossenheit ließen sie gleichgültig, allenfalls mitleidig werden. „Ein heimatloser, unglücklicher Bursche", sagte man von ihm. „Nur gut, daß er im Kolchos sein Essen hat, sonst müßte er betteln gehen. Er ist still und sanft wie ein Schaf!" Nach und nach gewöhnten sich die Leute an den merkwürdigen Charakter Danijars, und schließlich bemerkten sie ihn überhaupt nicht mehr. Und das war ja wohl auch ganz natürlich: Wenn sich ein Mensch in keiner Weise hervortut, dann vergißt man ihn allmählich.
    Früh am nächsten Morgen brachten Danijar und ich die Pferde zum Druschplatz. Gleichzeitig mit uns kam auch Dshamila dort an. Als sie uns erblickte, rief sie schon von weitem: „He, Kitschine-bala, bring meine Pferde hierher! Wo ist mein Geschirr?" Fachmännisch, als sei sie zeit ihres

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