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Dshamila

Dshamila

Titel: Dshamila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tschingis Aitmatow
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dem Feld, auf dem Frauen, Greise und Kinder mit saurer Mühe jedes einzelne Körnchen aufgezogen und geerntet hatten, auf dem sich auch jetzt der Kombinefahrer in glühender Hitze mit seinem klapprigen, längst ausgedienten Mähdrescher abplagte, auf dem Frauen unentwegt den Rücken über beiße Sicheln beugten und Kinderhände liebevoll jede verlorene Ähre sammelten.
    Ich erinnere mich noch deutlich daran, wie schwer die Säcke waren, die ich damals auf meinem Rücken schleppte. Es war eine Arbeit für starke Männer. Ständig in Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren, stieg ich über die knarrenden, sich durchbiegenden Bretter des Laufstegs nach oben, die Zähne in das grobe Leinen verbissen, um den Sack mit allen Mitteln zu halten, ihn nicht loszulassen. In meiner Kehle kratzte der Staub, auf dem Rücken drückte die Last, und vor meinen Augen standen feurige Kreise. Oft verzagte ich auf halbem Wege, wenn ich fühlte, daß der Sack erbarmungslos von meinem Rücken herunterrutschte; dann hätte ich ihn am liebsten abgeworfen und mich mit ihm den Getreideberg hinunterrollen lassen. Doch nach mir kamen andere Träger, die auch Säcke schleppten, Jungen wie ich oder Frauen, die Söhne in meinem Alter hatten. Wenn nicht Krieg gewesen wäre, hätte man ihnen dann erlaubt, sich solche Lasten aufzubürden?
    Nein, ich hatte nicht das Recht schlappzumachen, wo doch Frauen die gleiche Arbeit verrichteten.
    Wenn Dshamila vor mir ging, das Kleid bis über die Knie aufgeschürzt, sah ich, wie sich die festen Muskeln ihrer sonnengebräunten schönen Beine anspannten, wie sich ihr geschmeidiger Körper unter der Last des Sackes beugte und mit welcher Anstrengung sie sich aufrecht hielt. Mitunter blieb sie einen Augenblick stehen und sagte, als fühle sie, daß meine Kräfte mit jedem Schritt nachließen: „Halte aus, Kitschine-bala, es ist nicht mehr viel!"
    Dabei klang ihre Stimme selbst dumpf, gepreßt. Manchmal kam uns Danijar entgegen, wenn wir unsere Säcke geleert hatten und zurückkehrten. Leicht hinkend, stieg er mit starken, gleichmäßigen Schritten den Laufsteg hinauf, wie immer einsam und schweigend. Wenn er mit uns auf gleicher Höhe war, musterte er Dshamila mit einem finsteren, glühenden Blick, und sie streckte den müden Rücken und strich ihr zerdrücktes Kleid glatt. Er betrachtete sie jedesmal, als hätte er sie noch nie gesehen, und Dshamila tat immer wieder, als bemerkte sie ihn nicht.
    So war es ständig: Dshamila machte sich entweder über ihn lustig, oder sie beachtete ihn nicht, je nachdem, wie sie gerade aufgelegt war. Einmal kam ihr auf dem Weg zur Station ein Gedanke. „Los, schneller", rief sie mir zu. Die Peitsche über dem Kopf schwingend, feuerte sie mit lauter Stimme die Pferde an. Ich folgte ihr. Wir überholten Danijar und hüllten ihn in eine dichte Staubwolke, die sich lange nicht ablagerte. Obwohl das im Scherz geschah, hätte es sich wohl nicht jeder Mann ruhig gefallen lassen. Doch Danijar fühlte sich offenbar nicht gekränkt. Als wir an ihm vorbeirasten, musterte er die laut lachend in ihrem Wagen stehende Dshamila mit düsterem Entzücken. Ich drehte mich um. Selbst durch den Staub sah er ihr noch nach. Es war etwas Gutes, alles Vergebendes in seinem Blick, doch ich erriet in ihm auch noch etwas anderes: verborgene, unstillbare Trauer, wie man sie empfindet, wenn man etwas heiß ersehnt, das einem unerreichbar ist.
    Weder Dshamilas Spott noch ihre völlige Gleichgültigkeit ließen Danijar seine Zurückhaltung auch nur ein einziges Mal vergessen. Es war, als habe er das Gelübde abgelegt, alles zu ertragen. Anfangs tat er mir leid, und ich sagte mehrmals zu Dshamila: „Warum machst du dich denn immer über ihn lustig, Dshene? Er tut doch niemand was."
    „Ach der!" lachte Dshamila und winkte ab. „Es ist ja nur Spaß, das schadet dem alten Griesgram nichts."
    Später neckte und verspottete ich Danijar nicht weniger als Dshamila.
    Allmählich beunruhigten mich seine seltsamen, beharrlichen Blicke. Wie starrte er Dshamila an, wenn sie sich einen Sack auf die Schultern lud! Allerdings zog sie auch die Blicke anderer auf sich. Ihre Bewegungen waren in all dem Heidenlärm, dem Gedränge und Marktgetümmel des Hofes, inmitten der sich schiebenden und heiser schreienden Menschen so sicher und gewandt, ihr Gang so leicht, als berühre sie das alles gar nicht. Man mußte sie einfach ansehen. Wenn sie einen Sack vom Wagen ablud, reckte sie sich, hob die Schulter, um die Last aufzunehmen, und

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