DSR Bd 4 - Das Schattenlicht
Transporter rausgefahren, hatte ihn im Schatten geparkt und war dann losgegangen, um die Geisterstraße wieder zu erforschen.
Er hatte sofort die Polizei darüber informiert, dass seine Tochter verschwunden war und einen Besuch des Geheimen Canyons erwähnt hatte. Nach der obligatorischen bürokratischen Verzögerung war der Canyon spät am nächsten Tag von National Park Rangers und zwei Mitgliedern der örtlichen Polizeihundestaffel mit ihren Tieren gründlich durchsucht worden. Die Suche brachte nur sehr wenig zum Vorschein: Zwar nahmen die Hunde eine Duftspur auf, die vom Transporter wegführte, doch sie verloren sie, sobald sie im Innern der Schlucht waren.
Nun würden Tony und Freitag die Suche in einem anderen Rahmen fortsetzen.
Die zwei Männer marschierten den Standstreifen der Landstraße entlang, bis sie eine Stelle erreichten, wo sie einen von Unkraut völlig zugewucherten Wassergraben überqueren konnten, und machten sich auf den Weg in die Wüste. Tony lauschte dem Knirschen der trockenen, von Kieselsteinen übersäten Erde unter seinen Füßen und dachte an das zurück, was ihm Cass über ihre Begegnung mit einer Kraft oder einem Phänomen erzählt hatte, die oder das sie sich nicht zu erklären vermochte. Er konnte noch immer ihre Stimme hören – ein wenig aufgeregt vor Unsicherheit –, als sie ihm mitteilte: »Dad, ich glaube, ich bin in eine andere Dimension gereist … In der einen Sekunde war ich im Canyon, wo Sand, Sturm und Regen auf mich einprasselten, und in der nächsten … Dad, ich stand auf einer Ebene, und die obere Bodenschicht war eine Ablagerung aus vulkanischer Schlacke. Es gab keinen Canyon mehr, keine Kakteen, rein gar nichts – nur Linien, die sich in entgegengesetzten Richtungen bis zum Horizont erstreckten …«
Als er sie dazu drängte, Einzelheiten zu schildern, erwiderte sie: »Linien … Du weißt schon. Als ob jemand eine Schneeschippe genommen und in der Schlacke auf der Ebene eine flache Mulde ausgeschaufelt hätte. Jedoch nicht willkürlich oder planlos: Diese Linien waren vollkommen gerade, und sie erstreckten sich meilenweit.«
Ihre Beschreibung erinnerte ihn an die uralten Muster, die in den Boden der Nazca-Hochebene im Süden Perus eingekratzt worden waren. Eine schnelle Durchsicht von verfügbaren Fachbüchern schien ihre Beschreibung zu bestätigen: Es war das, was man vom Boden aus sehen würde, wenn man in die Mitte der Nazca-Ebene fiele, schlussfolgerte er. Tony Clarke, der Vater, glaubte, dass seine Tochter eine sehr beeindruckende Erfahrung erlebt hatte, die ihre normalerweise rationale Ansicht von der Welt durcheinandergebracht hatte. J. Anthony Clarke, der Wissenschaftler, stellte die Hypothese auf, dass sie eine Erfahrung von translokationaler Wahrnehmung erlebt hatte, die vielleicht durch den Zusammenstoß elektromagnetischer Kräfte hervorgerufen worden war, entstanden durch irgendwelche Faktoren der einzigartigen physikalischen Geografie von Arizona.
Bekannt und berühmt als die Sedona Vortexes , konnten diese tellurischen Energieausstrahlungen außergewöhnliche Effekte produzieren. Er fragte sich, ob sie in der Lage waren, das Erkennen und die Wahrnehmung signifikant zu beeinflussen. Er hatte Kurzberichte von Experimenten gelesen, bei denen freiwillige Testpersonen, die starken Magnetfeldern unterworfen waren, veränderte Bewusstseinszustände erlebten. War es das, was Cassandra widerfahren war?
Natürlich war mentale Dislokation eine Sache und körperliches Verschwinden etwas vollständig anderes. Als guter Wissenschaftler weigerte sich J. Anthony Clarke, Vermutungen anzustellen, solange er nicht mehr Fakten zur Verfügung hatte. Und dies war der Grund, weshalb er Freitag an diesem strahlenden, frischen Morgen aufgesucht hatte.
»Okay, du weißt also nicht, wie die Geisterstraße funktioniert«, räumte Tony ein. »Aber wie handhabst du sie? Wohin führt sie? Ich möchte alles wissen, was du mir erzählen kannst.«
Ein schwaches Lächeln erschien auf Freitags Lippen. »Du bist genauso wie deine Tochter.«
»Danke schön. Ich warte …«
Freitag beschrieb kurz seine Erfahrung mit der Geisterstraße, dass die sogenannten Seelenpfade nur zu bestimmten Zeiten am Morgen und am Abend gefunden werden konnten und dass man in ihrer Anwendung von einem anderen Reisenden eingeweiht werden musste. Er deutete an, dass es verschiedene Zielorte gab, die erreicht werden konnten, indem man Pfade miteinander verband, wobei einem Reisenden die Möglichkeit
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