DSR Bd 4 - Das Schattenlicht
mich hinter irgendwelchen farnartigen Gewächsen nach unten … Und eine Sekunde später sehe ich diesen Mann, der sich durch das Dickicht schiebt. Er kommt zu dem Teich und trägt einen Körper in seinen Armen – eine Frau …«
»Was meinst du damit – ›Körper‹?«
»Einfach, dass sie schlaff wie eine große Stoffpuppe ist – dass sie tot ist«, erwiderte Kit. »Dieser Typ trägt eine Leiche in seinen Armen.« Kit nickte entschieden, um dies hervorzuheben. »Der Mann legt eine Art Pause ein, so als ob er tief Luft holen würde, und dann schreitet er in das leuchtende Zeug hinein. Er geht weiter, bis er vollständig untergetaucht ist, mit dem toten Körper und allem. Er ist unter der Oberfläche für – ich weiß nicht – vielleicht ein paar Sekunden; und das flüssige Licht verändert die Farbe: Es reicht von goldenem Gelb zu diesem hell leuchtenden Rot-Orange. Und eine riesige Blase bildet sich in der Mitte des Teichs, wird größer und größer, bis … sie aufbricht. Und da ist der Mann wieder. Er hält immer noch die Frau, nur diesmal ist sie lebendig!«
Brillengläser glitzerten im reflektierten Sonnenlicht; der Blick des Priesters war auf Kit geheftet. »Du bist dir sicher?«, fragte Gianni schließlich mit leiser, zitternder Stimme. »Es kann keinen Zweifel daran geben?«
Kit schüttelte bereits seinen Kopf. »Es besteht keinerlei Zweifel. Ich kann es immer noch deutlich vor mir sehen, als ob es gestern geschehen wäre. Ich habe beobachtet, wie sie sich bewegte, als der Mann sie herausgetragen und sie auf das Ufer gelegt hat. Und genau da habe ich gesehen, wer der Mann war.«
»Wie? Was hast du gesehen?«
»Die Tattoos auf der Brust des Mannes. All die Symbole – sein Hemd ist geöffnet, und da sind sie. In leuchtendem Blau. Dieselben Symbole, die auf der Karte sind; nur sind sie da auf ihm. Es ist Arthur.«
»Bist du dir dessen sicher?«
»Es war Arthur – die blauen Tattoos und so. Ich weiß nicht, wer die Frau war; aber sie war tot, als sie in den Teich gebracht wurde, und lebendig, als sie herauskam. Und was auch immer er getan hat; es ist Arthur gewesen, der es gemacht hat.«
Gianni, der den Kopf gesenkt hatte und die ineinandergefalteten Hände unter seinem Kinn hielt, blieb stumm.
Kit beobachtete ihn einen Moment lang und war nicht gewillt, den Priester in seinen Betrachtungen zu unterbrechen.
»Tee, Gentlemen!«, rief Wilhelmina von der anderen Seite des Hofes.
Die zwei Männer gingen widerwillig auf den Tisch zu, wo Mina eine mit Minzblättern gefüllte Schale und Teller mit Mandarinen und Aprikosen anordnete. Cass folgte mit einer Servierplatte, auf der sich Mandeln, Sesam und Süßigkeiten mit Pistazien befanden und die sie in die Mitte des Tisches stellte.
Auf halbem Wege über dem Hof blieb Bruder Gianni unvermittelt stehen. Er schaute rasch auf und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Stupido!« , rief er und rannte auf die offenen Türen zu. Auf der Schwelle blieb er stehen und schwenkte die Hand energisch in Richtung Kit und Mina, als wollte er sie mit der Geste dazu bewegen, sich nicht vom Fleck zu rühren. »Uno momento!« , rief er, als er weglief.
»Was war das denn gerade?«, fragte Mina, die auf die Tür starrte, durch die der Priester verschwunden war.
»Wir führten ein Gespräch, und es nahm eine etwas merkwürdige Wendung.«
»Es muss ein ziemlich intensives Gespräch gewesen sein. Ich habe ihn noch niemals so gesehen. Was um Himmels willen hast du zu ihm gesagt?«
»Ich habe gerade zufällig erwähnt, was ich an der Seelenquelle gesehen habe. Augenscheinlich glaubt er, es könnte wichtig sein.«
In dem Moment erschien Mrs Peelstick mit einem Tablett, auf dem sich Teegeschirr befand: eine Kanne, Gläser und Sesamkekse. »Was ist wichtig, mein Guter?«
Kit zögerte.
»Los, Kit, sag es ihr«, drängte Wilhelmina ihn. »Sag ihr, was du Gianni erzählt hast.«
»Okay, okay«, erwiderte Kit und wandte sich Mrs Peelstick zu. »Ich habe Gianni erzählt, dass ich gesehen habe, wie Arthur Flinders-Petrie in der Seelenquelle eine tote Frau zurück ins Leben gebracht hat.«
Zuerst schien sie es nicht gehört zu haben. Sie schritt weiter zum Tisch, doch dann blieb sie stehen. Ihr Kopf ruckte nach oben. »Ach du lieber Herr im Himmel!«, keuchte sie.
Als sie diese Worte sprach, schien die Zeit innezuhalten. Deren unerbittlicher Wettlauf nach vorn verlangsamte sich, die kurze Dauer eines Augenblicks dehnte sich aus und zog sich hin zu einer
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