Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie
und achtzehn Uhr durch kurze Nickerchen nachzuholen.
Somit war er gegen vierundzwanzig Uhr hellwach. Ich schilderte ihm zunächst das Schindluder, das wir mit Thorsten getrieben hatten. Cromwell meinte, er sei sehr stolz auf uns. Und dass wir da am Ball bleiben sollten. Dann erzählte ich ihm von der sonderbaren Familie Lövenich. Eigentlich wollte ich ihm auch meinen Gefühlsaufruhr wegen Marvie referieren, ließ es aber bleiben, weil ich mir plötzlich sehr dämlich vorkam. Und weil Cromwell, der in seinem ersten Leben eine Abrissbirne gewesen sein muss, eindeutig die falsche Adresse für solche zarten und im Aufbau befindlichen Zustände war.
Ich schlief ein, träumte von hellen, weiten Räumen und erwachte auf einer erneut schweißklammen Pritsche. Mein vorhin noch frisches Schlafgewand – T-Shirt und Jogginghose – schon wieder triefend.
Allmählich besorgt über meinen Gesundheitszustand, fuhr ich zu Mendelssohn. Wir installierten seinen Computer. Dieser PC verfügt über eine Braille-Tastatur und einen Vorleseapparat. Mendelssohn kann dort gedruckte Texte, Buchseiten oder getippte Briefe einscannen, die ihm dann von einer klirrenden Roboterstimme vorgelesen werden. Damit kann man eine Menge Spaß haben, zumal, wenn man den Roboter unanständige Texte vorlesen lässt. Eigentlich klingt schon per se alles, was dieser Roboter liest, auf eigentümliche Weise unanständig, aber wenn man ihn
dann noch mit entsprechenden Vokabeln füttert … Doch heute war mir nicht nach solchen Albereien. Und während Mendelssohn den Drucker auspackte, googelte ich meine Leiden: »Nachtschweiß«, aha!
Soso!
Da gab es einiges zu lesen.
Ich wurde informierter und informierter.
Nach etwa einer halben Stunde Recherche kristallisierte sich ein erstes Urteil heraus: Entweder hatte ich gar nichts oder Krebs.
Ich dachte scharf nach, bemerkte dabei einen neuerlichen Schmerz in meinem Hirnkasten und las aufgewühlt weiter: Keine Frage, es passte alles.
Mir schwindelte.
Fünf Links später hatte ich es schließlich schwarz auf weiß: Mit neunundneunzigprozentiger Sicherheit war ich dem Tode geweiht.
W as tun? Sofort zu meiner Hausärztin gehen? Oder es erst einmal Mendelssohn erzählen? Nein, den Freund so überfallartig zu beunruhigen schien mir übereilt. Und die Hausärztin würde mir auf die Schnelle auch nichts Genaues sagen können. Wahrscheinlich würde ich als Kassenpatient sogar Wochen warten müssen, bis man mich endlich in einen CT, MRT oder ähnliches schob … Nein, ich würde mich zunächst einmal damit abfinden, mich in mein Schicksal schicken, ja: mit mir selbst meinen Frieden machen müssen, bevor ich meine Umwelt mit meinem gesundheitlichen Pech belästigte. Bevor ich die drohende
Pleite meines Organismus′ öffentlich machte. Außerdem lag es noch immer im Bereich des Möglichen, dass ich mich irrte. Vielleicht hatte ich ja nur einen harmlosen psychosomatischen Klaps, der meinen Körper des Nachts so unter Wasser setzte. Und in einem solchen Fall wäre es sehr peinlich, wenn ich mich jetzt schon als Todgeweihter outen würde, um es dann noch locker bis zur Rente zu machen …
Mendelssohn beschimpfte den Drucker und verlangte nach Kaffee.
Gefasst ging ich mit ihm zur Küche. Geistesabwesend deckte ich den Gartentisch. Ein komisches Gefühl, dies alles: der Garten, der Tisch, das frühe Sonnenlicht, das zaghaft durch die Äste der hohen Bäume kletterte – alles so: ENDLICH. Die Bäume waren schon jetzt älter, als ich vielleicht werden würde …
Hinter der Mauer bewegten sich einige Lövenichs; meinem Gehör nach Katharina und Ritchie. »Ab nächsten Monat hat er Freigang«, sagte Katharina. Ritchie fragte: »Und wie viel?«
Katharina: »Erst mal ein Wochenende. Später sicher mehr.«
Ritchie: »Super. Vielleicht kann er den Dicken verschwinden lassen.«
Katharina: Lautes Seufzen.
Ritchie: Dito.
Katharina (sich entfernend): »Das wird was werden!«
Ritchie (sich ebenfalls entfernend, bestimmt): »DEN schaffen wir!«
A ha. Ohne zu wissen, wer da im Knast saß, wer der Dicke war und wie man ihn schaffen könnte, überfiel mich die Ahnung, dass es mit meiner Marvie zu tun haben musste. Marvie in Gefahr? Marvie in schlechter Gesellschaft? Marvie in Not – ja, das wäre doch schon mal ein schöner Aufhänger! Ein quasi lehrbuchartiger Einstieg in eine sich später zwangsläufig verdichtende Beziehung! Sich verdichtend bis zum letztlichen Aufeinanderknallen in explosiver Liebe und
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