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Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Titel: Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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selbst. Marvie war nicht nur NOCH SCHÖNER als ihre Schwestern, sie schaffte es tatsächlich, einfach so, nur dank einer unerklärlichen Aura, mich in einen Bewegungstrottel und Körperkasper zu verwandeln. So schloss ich einen Zipfel meines Sweatshirts mit an den Gartenzaun. Wie mir dieses Kunststück genau gelang, ließ sich später nicht mehr rekonstruieren, aber ich schwöre: Es funktioniert! Man kann sich mithilfe eines Kleidungszipfels selbst an ein Tor ketten! Marvie lächelte herzzerreißend lieb und radelte davon. Und ich beschloss, von Stund an nicht länger Single zu bleiben.
     
    M endelssohn spürte, dass irgendetwas in meinem Inneren schwärte. Und nach nur vier bis fünf indiskreten Andeutungen sagte er mir auf den Kopf zu, dass ich unverzüglich auszupacken hätte.
    Die alte Klatschbase.
    Ich packte vorsichtig aus und Mendelssohn grinste von einem Luchsohr zum anderen. Er hub an, um etwas garantiert Gemeines anzumerken, aber dieser Moment wurde ihm gründlich verdorben. Denn von draußen erscholl – noch lauter als am Vortag – die entsetzliche Musikauswahl des Cabrio-Kretins. Und plötzlich entstand in mir, wie von einem großen Gott blitzschnell eingegeben, ein verteufelt guter Plan! Ich wusste jetzt, wie wir mit vereinten Kräften den Radaubruder umerziehen konnten! Auf dass er niemals mehr vor unserer Tür lärmte! Wenn Mendelssohn
sich traute, dann würden wir innerhalb von einer Woche unsere Ruhe haben!
    Zur Entstehung dieses genialen Plans muss man Folgendes wissen: Mendelssohn ist in freier Wildbahn, wenn er allein auf den Straßen der Stadt unterwegs ist, ganz auf sein Gehör angewiesen. Sein Stock warnt ihn nicht nur vor unvorhergesehenen Hindernissen wie falsch parkenden Autos, Fahrrädern oder quer liegenden Obdachlosen, der Klang des Stockes auf dem Pflaster gibt ihm auch Auskunft über solche Feinheiten wie Toreinfahrten oder Mauern. Zum Beispiel kann das Tackern hohl oder dumpf klingen oder ein fast unhörbares Echo erzeugen – im Laufe der Jahre hat sich Mendelssohns Gehör geschärft und in seinem Rechenzentrum allmählich den Raum eingenommen, der früher für das Sehen zuständig war. Er merkt, ob ihn sein Gegenüber beim Sprechen ansieht oder nicht, er hört bei einem Orgelkonzert, wie die Kirche proportioniert ist, er hört die Flöhe husten und das Gras wachsen. Darum ist er auch so ein begeisterter wie unbestechlicher Theater- und Opernbesucher. Er hört mehr, als ich sehen kann. Dies ist aber auch seine Achillesferse: Sobald es auf der Straße zum Beispiel brachialen Lärm gibt – sei′s ein Presslufthammer, sei′s eine Bande johlender HSV-Fans, verliert er die Orientierung. Einmal ist er sogar aus Versehen etwa zweihundert Meter beim Christopher-Street-Day mitmarschiert, bis er merkte, dass er sich nicht mehr im Passantenstrom auf dem Bürgersteig befand, sondern zwischen bunten Nackedeis für mehr Toleranz demonstrierte. Und ein dröhnendes Cabrio irritiert ihn ebenso wie eine
Abrissbirne oder ein Zug von schrill hupenden Transvestiten. Genau diese Achillesferse würden wir uns als Alibi zunutze machen!
    Alles, was wir dafür brauchten, waren zwei Handys, ein Headset und ein Becher heißen Kaffees. Oder besser noch: ein Becher heißer, fettiger Bouillon.
    Den Vormittag verbrachten wir damit, unsere Choreografie einzustudieren. Am Nachmittag hingen wir am Fenster und warteten. Endlich war es so weit: Der Radaubruder fuhr vor, um die Plumpskuh abzuladen. »Und los!«, befahl ich, füllte einen Pappbecher mit stinkiger Brühe und drückte ihn Mendelssohn in die Hand. Und Mendelssohn marschierte los. In der einen Hand die Brühe, in der anderen das Stöckchen, und im Ohr einen Knopf mit Verbindung zu meinem Handy. Ich lotste ihn aus dem Haus und in die Richtung des wummernden Autos. Die Plumpskuh hatte inzwischen ihre Haustür erreicht und winkte ihrem krawallesken Galan zu. Der Krawalleske winkte zurück. Sorglos. Noch.
     
    V on hinten näherte sich Mendelssohn. Auf gleicher Höhe mit dem Cabrio geriet er ins Trudeln, schien verwirrt, drehte sich einmal um sich selbst und platzierte sodann – von mir aus dem Hinterhalt dirigiert und filmreif stolpernd – die Brühe mit einem Schwupps auf dem Beifahrersitz. Der stolze Besitzer schrie auf, die Plumpskuh schrie auf, und Mendelssohn startete eine Entschuldigungsarie: Das sei ihm aber unangenehm! Und ob er irgendeinen Schaden angerichtet habe! Der Dolby-Digital-Depp
zog hektisch einen Lappen aus dem Handschuhfach und

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