Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie
sehr. Katharina verstummte, Laura lächelte traurig, Theoderich räusperte sich ausgiebig. Dann erfuhren wir weitere Details aus der Familienchronik:
Die erste Frau von Paps – und die Mutter von Katharina und Laura – hatte sich scheiden lassen, weil sie unter den langen Abwesenheitsphasen des Vaters litt. Daraufhin hatte Paps eine Iris geheiratet (die Mutter von Ritchie und Marvie), die sich nach fünf Ehejahren auf ihre eigene Kreativität besann und nun Mode machte. Die Kinder blieben bei Paps. Und egal, was Paps so den ganzen Tag trieb, egal, wo er herumtourte – wenn er nach Hause kam, legte er sich erschöpft auf das Sofa, und seine Kinder lagen um ihn herum wie ein Wurf Welpen; sie sahen gemeinsam fern, aßen Chips und sprachen über Gott, die Welt, die Liebe und das Leben.
Erneut keimte Neid in mir auf. Welch eine Bilderbuchfamilie! Dagegen waren die Waltons ja ein Haufen zänkischer Stinkstiefel! Sogar Mendelssohn musste seufzen. Katharina
brachte ihm eine Jacke. Die Geschwister entzündeten Windlichter, und wir saßen besinnlich beisammen, schweigend, nur hin und wieder unterbrochen von einem wehmütigen »Ja, ja« eines der Geschwister oder einem neidischen Seufzen meinerseits.
Die Luft wurde dunkelblau und die letzten Vögel tschilpten in den Sträuchern. Aus dem Gras machte sich ganz sachte Feuchtigkeit auf den Weg nach oben. Meine Turnschuhe kühlten aus. Und ich fühlte mich plötzlich wieder so hohl.
I n diesem Moment fuhr ein Auto vor. Zwei Türen klappten, und dann traten Marvie und die Wurst in den Garten. Sie kamen auf uns zu. »Guten Abend!«, sagte Marvie herzlich. »Guten Abend!«, kam es etwas zu laut aus der Wurst. Wir nickten, und sie setzten sich nebeneinander auf ein niedriges Bänkchen. Der Wurstmann wollte wohl das Gleichgewicht verlieren und nach hinten wegpurzeln, aber Marvie hatte ihn schnell gepackt und hielt ihn in der Vertikalen. Keine Frage: Die Wurst hatte einen kleben.
M it ihrer beider Auftritt verfiel unsere Truppe in eine komplette Sprechlähmung. Wir blieben wortkarg, das Gespräch drohte völlig zu versanden. Marvie schien diese Stimmungsänderung zu registrieren, jedenfalls meinte ich, ihr eine Verstimmung anzumerken. Nur die Wurst war über alles erhaben und polterte wie ein Tölpel in die unangenehme Pause.
S elbstverständlich konnte ich ihn nicht leiden. Schließlich war er mein natürlicher Feind Nummero eins. Aber nicht nur das: Er schien mir auch ansonsten ein unsympathischer Gesell zu sein. Ein generell krummer Hund. Ein Generalarsch. Einer jener Typen, die – völlig zurecht – noch nicht mal von der eigenen Mutter geliebt werden.
Marvie und er hatten wohl gerade der Aufführung eines seiner Stücke beigewohnt. »Inkognito«, wie der Wurstmann drei Mal betonte, »um mal die Reaktionen der Zuschauer ungefiltert aufnehmen zu können.« Hin und wieder müsse das sein, wegen der Basis. Und er sei immer wieder wie erschlagen, wenn die Reaktionen überschwänglich seien. So überschwänglich wie heute: tosender Applaus.
»Ja, die haben fast getobt«, sagte Marvie. Wir nickten bedächtig. Und Wurst wiederholte, dass ihn solch ein tosender Applaus »richtig fertig« mache. Dabei versuchte er, seinem Gesicht ein irgendwie demütiges Mienenspiel zu verpassen. Was aber misslang. Alles an ihm transpirierte und schwefelte etwas aus, das eindeutig nach hundertzehnprozentiger Selbstgefälligkeit roch. »Mich wundert es immer wieder, dass ausgerechnet ein Stück, das NICHT angepasst ist und mit Tabus so ketzerisch umgeht, so einen breiten Erfolg haben kann.«
Keiner antwortete etwas darauf, aber ich wette, dass ich nicht der Einzige war, der sich ebenfalls über den Erfolg von Wurst wunderte. Obwohl ich zugegebenermaßen nichts von ihm kannte. Nur vom Hörensagen und natürlich von Mendelssohn.
M endelssohn saß etwas nach vorne gebeugt, seine Lauscher offensiv in Richtung Wurst gedreht. In ihm musste gerade ein Kampf stattfinden: Entweder würde er die Selbstverliebtheit des Wurstmannes ignorieren oder aber ein paar fundierte Takte über das wurstsche Oeuvre abgeben.
Marvie merkte, wie ihr dicker Geliebter dabei war, sich selber ins Aus zu sülzen. Also warf sie sich dazwischen: »Wir bereiten doch gerade unseren großen Abschlussabend vor – bevor es in die Semesterferien geht. Und wir hatten die Wahl zwischen einem Shakespeare und dir! Da kannst du mal sehen, wie hoch du gehandelt wirst!«
»Und wer ist es am Schluss geworden?«,
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