Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
50 Jahren die arabische Welt. Ich sähe keinen Grund, diese Reisen wegen eines Aufstands aufzugeben. Fast traurig erwidert der Geheimdienstler, im letzten Jahr habe es in Syrien noch zehn Millionen Touristen gegeben. Aber das sei Vergangenheit. In Daraa gebe es keine Touristen mehr.
Ich antworte: »Doch, es gibt noch zwei Touristen. Sogar mit Übersetzer und Fahrer. Die sollten Sie nicht auch noch vertreiben.« Zum ersten Mal schmunzelt er: »Steigen Sie in Ihr Auto. Ich bringe Sie zum Stadtausgang. Damit Sie an den Checkpoints keine Probleme bekommen. Wir müssen uns beeilen. Ab 20 Uhr ist Ausgangssperre.«
Dann fügt er hinzu: »Eigentlich müsste ich Sie mindestens eine Nacht hierbehalten. Auch um mir Ihre Fotos genauer anzusehen. Vor allem die auf den anderen Apparaten. Aber dann wird alles zu ernst. Seien Sie uns nicht allzu böse. Die Lage in Daraa ist schwieriger, als Sie ahnen. Und die Situation, in der Sie sich befinden, auch.«
Ich frage ihn, ob der Soldat irgendwann seine Maschinenpistole aus dem Gesicht unseres Fahrers nehmen könne. Jetzt lachen sogar einige der Soldaten. Nur Arnie ist bedrückt. Die Sache mit dem »Wunderausweis«, die anfangs so gut geklappt hatte, ist ihm sehr peinlich.
Der Geheimdienstchef fährt mit uns bis zum letzten Kontrollposten. Dort wartet er, bis wir Richtung Damaskus entschwunden sind. Er will sichergehen, dass wir die Stadt tatsächlich verlassen.
Vor Damaskus wird der Verkehr dichter. »Fliegende Kontrollposten« mit schwer bewaffneten Sicherheitsbeamten in Zivil kontrollieren alle Autos und alle Papiere. Das Regime will sicherstellen, dass keine Rebellen in die Stadt einsickern.
Das Freitagsgebet in der Umayyaden-Moschee
Am nächsten Tag, einem Freitag, wollen Julia und ich zum Freitagsgebet in die Umayyaden-Moschee. Julia will den Gottesdienst filmen. Aber Hakim, unser Dolmetscher, der ihre Kamera über Nacht aufbewahrt, weigert sich, diese herauszurücken. Als deutsche Christin während einer Revolution zum muslimischen Freitagsgebet zu wollen, sei schon verrückt. Aber dort als Frau auch noch fotografieren zu wollen sei schlicht lebensgefährlich. »I would consider it a potential suicide« – aus seiner Sicht sei das potenzieller Selbstmord.
Die schwersten Demonstrationen begännen meist direkt nach dem Freitagsgebet. Das Regime habe deshalb heute Morgen landesweit das Internet abgeschaltet. Er leiste keine weitere »Sterbehilfe«.
Doch bisher war in Syrien alles viel undramatischer als in den Medien geschildert. Wir beharren daher auf unserer Entscheidung. Hakim bleibt verärgert zu Hause. Ich hörte ja ohnehin nicht mehr auf ihn, brummt er.
Der Souk vor der Moschee ist wie leer gefegt. Durch die schadhaften Dächer malt die Sonne Kreise auf den Boden. Am Ausgang des Souks strömt das Licht wie Goldregen auf uns herab. Wir gehen durch den Paulusbogen und stehen vor der Umayyaden-Moschee. Wir sind spät dran. Nur eine kleine Menschentraube steht noch vor dem Eingangstor. Ein Wächter fragt, ob wir Muslime seien. Wir schütteln den Kopf. Er auch. Der Freitagsgottesdienst sei nur für Muslime.
Neben uns steht ein etwa fünfzigjähriger Mann mit silbernem Haar und gepflegtem Dreitagebart. Er trägt ein langes, beiges Gewand, die Galabiyya, und eine gehäkelte Kappe, die Taqiyya. Er sieht sehr kultiviert aus. Ich frage auf Englisch, ob er uns helfen könne. Er nickt: »Selbstverständlich, Sie sind meine Gäste.« Dann wechselt er ein paar Worte mit dem Türwächter und begleitet uns fast feierlich in den vornehmen Gästeraum der Moschee. Wir können den Gottesdienst von hier aus über einen Bildschirm oder – wie alle anderen – direkt vom Gebetsraum aus verfolgen. Ein Diener bringt uns Tee. Wir werden behandelt wie königliche Besucher.
Die Moschee ist nur zur Hälfte besetzt. Doch die Predigt des greisen Scheikh Mohammed Al-Buti ist eindrucksvoll. Er appelliert an beide Seiten des Konflikts, aufeinander zuzugehen.
Wir begeben uns in den prächtigen Innenhof. Durch die halb offene Tür hören wir noch immer die sonore, entspannende Stimme Al-Butis. Es ist wie in einem Traum aus alten Zeiten. Erst als die Gläubigen aus dem Gebetsraum in den Innenhof strömen, erwache ich aus der fast mystischen Stimmung, in die mich die beschwörende Predigt und das Gebet versetzt haben.
Als die Menschen schließlich auf den großen Platz zwischen Moschee und Paulustor drängen, schlendern wie in einem Wildwestfilm von allen Seiten Dutzende auffällig unauffällige
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