Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
eines friedlichen Übergangs zur Demokratie gebe. Nur mit ihm und seiner starken Anhängerschaft zusammen könne man die großen Probleme des Landes lösen. Allerdings müsse sich Assad endlich echten, international überwachten Präsidentschaftswahlen stellen. Mit vollem Risiko. Eine faire demokratische Entscheidung würden auch viele seiner Gegner akzeptieren.
Ich schaue ihn verblüfft an. Al-Khayyer hat die besten Jahre seines Lebens in den Gefängnissen des Familienregimes Assad verbracht. Trotzdem sagt er, ohne Baschar Al-Assad gebe es in Syrien weder Demokratie noch Frieden?
Al-Khayyer lächelt mich müde an. »Ich weiß, das klingt paradox. Aber es ist einfach so. Frieden muss man mit den Mächtigen machen, nicht nur mit den Ohnmächtigen. Eine friedliche Lösung gibt es nur mit Assad.«
Ich sehe, dass der alte Mann Tränen in den Augen hat. Wir schweigen sehr lange. Verlegen, fast schüchtern, nimmt Al-Khayyer seine Brille und seine altmodische Mappe und verlässt den Raum.
Kaum jemand hat mich in Syrien so beeindruckt wie dieser alte Marxist. Ich wollte ihn unbedingt wiedersehen. Und wäre gerne sein Freund geworden. Doch im September 2012 wird Al-Khayyer nach einer Chinareise auf dem Weg vom Flughafen ins Stadtzentrum von Damaskus angehalten und entführt. Er ist nie wieder aufgetaucht. Regierung und Rebellen beschuldigen sich gegenseitig der Tat. Irgendwann möchte ich seine Familie besuchen.
In Jeans zu Assad
Einige Tage später rief Scheherazad an. Ob ich bereit sei, den Präsidenten übermorgen zu treffen. Am 13. November 2011, 9 Uhr morgens. »Klar«, sagte ich, »aber einen solchen Plan hatten wir schon einmal. Vor einer Woche.« Nein, diesmal sei es ganz sicher, beharrte Scheherazad. Assad selbst habe den Termin vorgeschlagen.
Ich sagte zu. Doch ich traute dem Braten nicht. In Syrien war Krieg. Jeder Tag brachte neue Katastrophen. Eigentlich konnte man in dieser Zeit gar keine sicheren Termine verabreden.
Am nächsten Abend erfuhr ich über Internet, dass die Arabische Liga ihr Gründungsmitglied Syrien ausgeschlossen hatte. Damit war wahrscheinlich auch der Termin gestorben. Morgen früh würde eine Sondersitzung der syrischen Führung die andere jagen. Doch Scheherazad rief spätabends noch einmal an und bestätigte das Treffen. Ich fragte, ob sie ihren »väterlichen Freund« Assad bitten könne, so wie ich Jeans zu tragen. Leider hätte ich keinen Anzug dabei. Scheherazad versprach mir fest, dass auch der Präsident Jeans tragen würde. Das sei zu Hause ohnehin seine Lieblingskleidung. Der Termin finde ja nicht im Palast statt.
Am nächsten Morgen ging es um 8 Uhr los. Für mich war das mitten in der Nacht. Vor allem seit ich oft bis 2 Uhr morgens schrieb. Wir fuhren auf einen der Berge von Damaskus. Zweimal wechselten wir das Auto. An einer verdeckten Abzweigung bogen wir in eine schmale Straße. Kurz danach ging vor uns ein eisernes Tor auf. Nach einer langen Einfahrt hielten wir vor einer kleinen, säulengeschmückten »Staatsvilla«.
Als wir ausstiegen, öffnete sich die Haustür. Lächelnd kam uns Baschar Al-Assad entgegen. Der Mann, den westliche Politiker den »Schlächter von Damaskus« nennen. »Herzlich willkommen«, sagte er auf Englisch und führte uns ins Gästezimmer. Alles sah recht einfach aus. Um einen rechteckigen Glastisch standen einfache schwarze Ledersofas. Julia staunte. Auch darüber, dass wir nicht ein einziges Mal kontrolliert worden waren. Wir hatten beide eine große Tasche dabei.
Als Erstes entschuldigte sich Assad dafür, dass er einen Anzug trage. Ihm seien hier Jeans auch lieber. Doch anschließend habe er offizielle Termine. Ich erwiderte spaßhaft, dass er jetzt einiges wiedergutzumachen habe. Erst hätten mich seine Leute am Flughafen festgenommen. Dann hätte ich heute seinetwegen um 6 Uhr aufstehen müssen. Für mich sei das kurz nach Mitternacht. Und nun habe er auch noch seine Zusage, Jeans zu tragen, nicht eingehalten. Assad schüttelte sich vor Vergnügen. Fast wie ein Schuljunge.
Assad ist groß, schlaksig, und die Couch, auf der er sitzt, niedrig. Immer wieder versinkt er in ihren Kissen. Er spricht offen, selbstkritisch und leise. Vielleicht spielte er mir etwas vor. Aber machen das nicht alle Politiker? Jedenfalls erscheint er mir bei Weitem nicht so machohaft wie die Diktatoren, die ich in meiner Zeit als entwicklungspolitischer Sprecher der CDU / CSU erlebt habe. Männer wie der pakistanische Militärherrscher Mohammed Zia-ul-Haq, Chiles
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