Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
ihn privat und schätzte ihn. Er war mehrfach heimlich in Homs gewesen und hatte darüber für ARD , ZDF , CNN und andere TV -Sender eindrucksvolle regimekritische Filme gedreht.
Er stand meiner Haltung skeptisch gegenüber. Aber auch er hatte Probleme mit dem, was er gelegentlich bei den Rebellen erlebte. Er bezweifelte zunehmend, dass die westliche Berichterstattung fair und ausgewogen war. Deshalb wollte er wenigstens einmal die andere Seite Syriens zeigen, die der Anhänger Assads. Er fragte mich, ob ich ihm einen Termin beim syrischen Staatspräsidenten vermitteln könne. Natürlich konnte ich das nicht.
Ich bat ihn, nach seiner Rückkehr aus Syrien das, was er auf der anderen Seite gesehen und erlebt hatte, auch offen zu berichten. Er versprach es und hielt Wort. Am 28. März 2012 stellte er in der NDR -Fernsehsendung Zapp die gängige Syrien-Berichterstattung infrage. Er sprach von einem »Medienkrieg« und einem »Ungleichgewicht in der Berichterstattung«. Davon, dass die Reportagen aus Syrien meist nur den Kampf der Rebellen zeigten. Dass nur ein Teil der Bevölkerung mit diesem Kampf einverstanden sei.
Er hatte den Mut auszusprechen, »dass bestimmte Videos gefaked, übertrieben oder gar komplett inszeniert werden«. Er zeigte einen Aktivisten aus Homs namens Khaled Abu Salah, der auf Al-Dschasira mehrfach in wechselnden Rollen auftrat: Anfang Februar angeblich bei einem Angriff schwer verwundet, ein paar Tage danach putzmunter als Reporter. Kurz darauf erneut verletzt, wenig später quietschlebendig im Zentrum von Homs.
Khaled Abu Salah war in Syrien fast jedem politisch interessierten Fernsehzuschauer als Anhänger der Rebellen und freier Mitarbeiter von Al-Dschasira bekannt. Niemand hielt diesen Till Eulenspiegel dort für eine ernst zu nehmende Informationsquelle. Und doch schaffte er es mit seinen possenhaften Auftritten immer wieder in die Hauptnachrichtensendungen der großen Fernsehanstalten der Welt.
Wie war so etwas möglich? Mettelsiefen lakonisch: In Syrien werde »momentan mit Bildern Krieg geführt. Aktivismus und Journalismus werden in einer sehr, sehr perfiden Weise vermischt«.
So stelle ich mir unabhängigen Journalismus vor. Allerdings sind derartige Reportagen über die andere Seite Syriens bei Weitem nicht so sensationell wie Horror- und Massakerfilme. Freie Journalisten haben es nicht leicht, ausgewogene und unspektakuläre Berichte über Syrien bei großen TV -Sendern unterzubringen.
Vielleicht habe ich deshalb nie wieder einen vergleichbar mutigen Bericht Mettelsiefens über die Kehrseite der syrischen Tragödie gesehen.
Gegen den Strom
Auch für mich ist es nicht einfach, in der Syriendebatte gegen den Strom zu schwimmen. Der Strom ist mächtig. Ich nicht. Trotzdem versuche ich es. Mir geht es in Syrien um vier Ziele:
Erstens: Ich möchte mithelfen, dass der tragische Konflikt dieses sympathischen Landes durch Verhandlungen beendet wird. Und nicht durch »Auskämpfen« des Bürgerkrieges. Auch nicht durch verdeckte oder offene militärische Interventionen des Auslands. Ziel der Verhandlungen muss die nationale Aussöhnung aller sein. Weil ich für Verhandlungen bin, kann ich mir nicht den Luxus erlauben, mich auf eine Seite zu schlagen.
Zweitens: Ich möchte mithelfen, dass Syrien ein demokratischer Rechtsstaat wird. Weil ich glaube, dass nur in einem demokratischen Rechtsstaat die Würde aller Bürger garantiert ist. Die neue syrische Verfassung muss die Minderheiten machtvoll schützen. Aber auch der Mehrheit ihre Rechte geben.
Drittens: Ich möchte mithelfen, dass die arabische Welt endlich frei wird von westlicher Bevormundung. Araber haben dasselbe Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit wie wir.
Viertens: Ich möchte mithelfen, einen Flächenbrand zu verhindern. Nicht nur der gesamte Mittlere Osten könnte bei einer Eskalation des Syrienkonflikts in Chaos und Anarchie versinken. Auch in Europa könnten die Lichter ausgehen. Der Mittlere Osten kann sehr schnell zum Zentrum einer weltpolitischen Katastrophe werden. Die Situation dort erinnert zunehmend an die Lage auf dem Balkan vor dem Ersten Weltkrieg. Auch damals redeten patriotische Sofastrategen die Welt in einen verheerenden Konflikt hinein.
Ich glaube, dass es sich lohnt, für diese Ziele einzutreten. Dass es sogar meine Pflicht ist. Weil ich Syrien und seine Menschen seit Langem kenne und liebe. Und weil ich durch die Zufälle des Lebens zahlreiche Verbindungen zu Politik und Medien habe.
Ich
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