Dune 08 - Die Erlöser des Wüstenplaneten
nach ihrem Handgelenk. Instinktiv versuchte sich Jessica loszureißen, doch es gelang ihr nicht. Der Gesichtsausdruck Garimis wurde hart. »Ich werde mit dir teilen. Ich gebe dir all meine Gedanken und Erinnerungen, damit du alles weißt .« Sie beugte sich näher heran. »Ich werde die hundert Generationen, die nach deinem Verbrechen lebten, in dein Gehirn laden, damit du das Ausmaß und die Konsequenzen deiner Taten erkennst.« Sie zog Jessica an sich heran.
»Das ist nicht möglich. Nur Ehrwürdige Mütter können teilen .« Jessica versuchte zurückzuweichen.
Garimis Augen waren wie Stahl. »Aber du bist eine Ehrwürdige Mutter – das heißt, du warst eine. Deshalb lebt eine in dir.« Sie legte eine Hand hinter Jessicas Kopf, packte ihr bronzefarbenes Haar und zog sie noch näher an sich heran. Sie senkte den Kopf und drückte ihre Stirn gegen Jessicas. »Ich kann es bewirken. Ich bin stark genug. Kannst du dir vorstellen, warum ich es tue? Vielleicht ist der Kummer groß genug, um dich zu lähmen.«
Jessica wehrte sich. »Oder es ... macht ... mich ... stärker.«
Sie hatte immer ihre Erinnerungen wiederhaben wollen, aber sie hatte nie darum gebeten, Garimis Erfahrungen zu übernehmen – oder die Leben jener zahlreichen Vorfahren, die während der Verfolgungen durch den Gottkaiser des Wüstenplaneten, der ihr Enkel gewesen war, gelebt hatten. All jene, die die Hungerjahre überstanden hatten, die ihre Abhängigkeit von der Melange überwunden hatten, die nicht mehr verfügbar gewesen war. Die Schrecken dieser Generationen hatten tiefe Narben in der Seele der Menschheit hinterlassen.
Das alles wollte Jessica nicht. Garimi lässt sich nicht davon abbringen, dass ich es ausgelöst habe.
Sie spürte etwas in ihrem Kopf und leistete Widerstand, aber Garimi war stärker und zwang sie, die entfesselten Erinnerungen anzunehmen. Es fühlte sich an, als würden Hämmer von innen gegen Jessicas Schädel schlagen, so stark, dass sie befürchtete, sie könnten den Knochen aufbrechen. In der Schwärze hörte sie ein Knacken und fragte sich, ob Garimi gewonnen hatte ...
* * *
Erschüttert blickte sich Jessica um – die echte Jessica, Konkubine des Herzogs Leto Atreides und Ehrwürdige Mutter der Bene Gesserit. Sie empfand ein Erstaunen, das sie nie für möglich gehalten hätte. Obwohl sie nur die Wände des Nicht-Schiffes sah, erinnerte sie sich daran, wie gut ihr Leben mit dem Herzog und ihrem Sohn Paul gewesen war. Sie erinnerte sich an den tiefblauen Himmel von Caladan, an die atemberaubenden Sonnenaufgänge auf Arrakis.
Am Ende hatte sie Garimi besiegt. Nun verließ sie das Quartier der Frau, schwankend und mit Wissen gesättigt. Die Flut der Erinnerungen war zugleich ein Segen und eine neue Belastung, denn sie musste nun ohne ihren geliebten Herzog Leto auskommen.
Die plötzliche Leere fühlte sich für sie an, als würde sie in einen endlosen Abgrund stürzen. Leto, mein Leto! Warum haben die Schwestern dich nicht zusammen mit mir zurückgeholt, wie sie es mit Paul und Chani getan haben? Und ich verfluche dich, Yueh, weil du ihn mir zum zweiten Mal genommen hast!
Sie verspürte eine tiefe Einsamkeit. Ihr Herz war ausgelaugt, und ihrem Geist blieben nur noch Erinnerungen und Wissen. Jessica war entschlossen, eine Möglichkeit zu finden, wie sie den Schwestern wieder von Nutzen sein konnte.
Sie kehrte in ihr Quartier zurück, wo Alia bereits auf sie wartete. Mit einer Intelligenz, die die einer normalen Dreijährigen weit überstieg, schaute das Mädchen sie mit ruhigem Ausdruck an und sagte: »Mutter, ich habe Dr. Yueh gesagt, dass du deine Erinnerungen wecken willst. Jetzt hat er noch mehr Angst vor dir. Du könntest ihn mit einem Blick töten. Ich habe ihn gejagt und ihm stellvertretend einen Tritt verpasst.«
Jessica drängte ihren tief verwurzelten Hass auf Yueh zurück. Auf den alten Yueh. »Das sollst du nicht tun. Vor allem nicht jetzt.« Der Verräter fürchtete sich zu Recht vor der Rückkehr ihrer Erinnerungen, obwohl sie von seinen Verbrechen gewusst und sie ihm verziehen hatte. Aber das habe ich nur mit dem Kopf und nicht mit dem Herzen getan. Während sie im Zimmer stand, trieben Jessicas wiedergewonnene Erinnerungen und Emotionen den Dolch immer tiefer hinein.
Sie erlebte eine Gefühlsaufwallung, die sie nicht zurückdrängen konnte, und drückte Alia impulsiv an sich. Dann blickte sie ihrer Tochter zum allerersten Mal in die Augen. »Ich bin jetzt wieder deine
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