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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Kartoffelchips, eine kleine Cola, bezahlte beides und gab dem jungen Mädchen hinter der Theke großzügig die paar Groschen, die ihm von seiner Barschaft noch blieben, als Trinkgeld. Seine Finger zitterten leicht, als er die Rolle öffnete und drei oder vier der dünn gepreßten Chips auf einmal in den Mund schob. Sie schmeckten ungefähr so wie das Wasser, das er gerade getrunken hatte, aber Jan würgte sie tapfer herunter, spülte mit einem Schluck Cola nach, der noch übler schmeckte, und machte sich wieder auf den Weg zum Kino.
    Er konnte die Blicke der vier jungen Männer, die hinter ihm an der Glastheke lehnten und ihre Gespräche jäh unterbrochen hatten, als er eintraf, fast körperlich zwischen den Schulterblättern spüren. Niemand sprach ihn an, als er über das Tau stieg und sich der geschlossenen Tür näherte. Sie hatten ihn zweifellos bemerkt, als er vor fünf Minuten herausgekommen war. Vielleicht, weil sie einfach Routine darin hatten. Aber vielleicht auch, weil er genauso auffällig gewesen war wie der besoffene Typ, der ihm gerade oben in der Toilette begegnet war.
    Er angelte eine zweite Ladung Chips aus der Dose, schob sie in den Mund und wollte die Hand nach dem Türgriff ausstrecken, da explodierte die Übelkeit mit solcher Wucht in seinem Magen, daß er sich nicht mehr halten konnte. Er sank hilflos gegen die Wand neben der Tür, ließ sein Getränk und die Chips fallen und kämpfte sekundenlang mit zusammengepreßten Lippen und Augenlidern darum, sich nicht hier an Ort und Stelle übergeben zu müssen. Alles drehte sich um und auch in ihm, und er mußte sich den linken Arm wohl heftiger gezerrt haben, als ihm bisher bewußt gewesen war, denn auch der Schmerz in seiner Hand und im Bizeps meldete sich nun zurück.
    »Ist Ihnen nicht gut?«
    Das erste, was Jan zu diesen Worten einfiel, war, daß es sich wohl um die dämlichste Frage des Jahres handeln mußte: Einen Mann, der zitternd und bleich an der Wand lehnte und gerade sein zweites Abendessen fallengelassen hatte, zu fragen, ob ihm nicht gut sei, zeugte schon von größerer Hirnrissigkeit. Erst dann ging ihm ganz allmählich auf, daß er dieser Mann war und daß die Frage somit ihm galt. Mühsam öffnete er die Augen, blinzelte einen Moment verständnislos in ein schmales, von streichholzkurz geschnittenem hellblondem Haar eingerahmtes Gesicht und erkannte mit einer Zeitverzögerung von einer guten halben Sekunde das dazugehörige schwarze T-Shirt mit dem roten Aufdruck »Cinedom«. Die Kavallerie war da.
    Er wollte den Kopf schütteln – ganz einfach, weil er zu den Menschen gehörte, die auf diese Frage immer mit einer Verneinung antworteten, selbst wenn sie gerade ihren Kopf unter dem linken Arm trugen –, aber dann wurde ihm bewußt, wie albern das angesichts seines momentanen Zustandes wäre. Also zuckte er unbeholfen mit den Schultern, versuchte seine Lippen zu einem Lächeln zu zwingen und nuschelte:
    »Mir ist nicht … besonders gut. Aber jetzt geht es schon wieder.«
    Mit der letzten Behauptung machte er sich vermutlich vollends lächerlich, jedenfalls wenn er den Gesichtsausdruck des Jungen vor sich richtig deutete. Der sagte zwar nichts, runzelte aber vielsagend die Stirn und senkte seinen Blick für einen Moment auf das Gemisch aus zerkrümelten Kartoffelchips und klebriger Cola, das sich vor und zwischen Jans Füßen ausgebreitet hatte. Jan vermutete allerdings, daß ihn im Moment weniger die Sorge um ihn beherrschte als vielmehr die Frage, wer die Sauerei wegwischen mußte. Er konnte sich nicht erinnern, jemals auch nur eine Putzfrau hier im Kino gesehen zu haben.
    »Ich … mach’ das gleich weg«, murmelte er. »Tut mir leid.«
    »Das ist wirklich nicht nötig.« Der junge Mann schüttelte den Kopf und trat einen halben Schritt zurück, um Jan noch einmal von Kopf bis Fuß zu mustern. Als er ihn wieder direkt ansah, glaubte Jan tatsächlich so etwas wie echte Sorge in seinem Blick zu erkennen.
    »Ist mit Ihnen auch wirklich alles in Ordnung?« fragte er.
    Platz zwei in der Hitliste der dämlichsten Fragen der Woche, dachte Jan müde. Na gut – auf Platz eins hatte er immerhin mit der bescheuertsten Antwort des Jahres gekontert. Vielleicht war es besser, er blieb bei der Wahrheit, ehe der Bursche anfing, die Top 100 herunterzuspulen.
    »Ich schätze, ich habe mir den Magen verdorben«, sagte er achselzuckend. »Vielleicht ist mir auch dieser blöde Film auf die Innereien geschlagen … ich sollte besser nicht wieder

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