Dunkelkammer: Frank Wallerts erster Fall (German Edition)
diesen Tag gewartet hatte, denn man konnte fast dabei zusehen, wie es mehr und mehr wurde: am Apfelbaum wurden erste Blattansätze sichtbar, auch der Rasen – der nicht wirklich diese Bezeichnung verdiente – hatte eine sattere Farbe als noch vor einigen Tagen.
Hinter ihr schellte das Telefon. Sollte sie hineingehen und abheben? Noch hatte sie keine Lust dazu, denn sie war vor etwa einer Stunde erst aufgestanden. Es war neun Uhr und nichts trieb sie zu irgendeiner Form von Eile. Sie hatte seit vorgestern eine Woche Urlaub. Außerdem war der Anrufbeantworter eingeschaltet. Jörg lag noch im Bett, würde aber jeden Augenblick aufstehen und sich um das gemeinsame Frühstück kümmern. Das Telefon war nun still, aber ohne dass sich der Anrufbeantworter bemerkbar gemacht hätte. Hatte sie ihn doch nicht eingeschaltet? Sie wollte sich gerade umdrehen, um das zu überprüfen, als sie aus dem Inneren der Wohnung ein Geräusch hörte. Lächelnd hielt sie inne und erwartete, dass Jörg zu ihr treten und ihr mit einem Kuss in den Nacken einen guten Morgen wünschen würde.
Das Messer durchschnitt ihre Kehle um 9 Uhr und 4 Minuten. In ihrem Gesicht machte sich Verblüffung breit. Als sich der Arm, der um ihre linke Taille gelegt war, zurückzog, griff sie mit beiden Händen an ihren Hals, aus dem das Blut sprudelte. Sie beugte sich nach vorne und sackte gleichzeitig in sich zusammen. Ihr Oberkörper drehte sich über die Balkonbrüstung und sie fiel. Sie starb zwischen den ersten Krokussen des Jahres um 9 Uhr und 5 Minuten.
Donnerstag 4. April 2002
An diesem Donnerstag hatte er nicht die geringste Lust auf sein Büro im Präsidium. Trotzdem lenkte er seinen Wagen auf den Dienstparkplatz auf der Von-Bock-Straße. Er zog den Zündschlüssel ab, nahm seine Jacke vom Beifahrersitz und stieg aus. Er griff in die rechte Tasche und förderte eine angebrochene Schachtel Zigaretten zu Tage, die er mit einer raschen Bewegung in den Wagen warf. Schließlich hatte er gestern, an seinem ersten freien Tag seit sieben Wochen, mit dem Rauchen aufgehört. Frank schlug die Wagentür zu und registrierte beim Umdrehen, dass das Seitenfenster noch geöffnet war. Also öffnete er die Tür wieder, schloss das Fenster und schlug die Tür erneut zu. Er betrat das Gebäude und ihm kam in den Sinn, einfach umzukehren und aus diesem Tag den zweiten freien Tag seit sieben Wochen zu machen. Die Stufen nahm er im Laufschritt. Vor seinem Büro zögerte er kurz, öffnete die Tür aber dann mit Schwung. Die Tür traf die Kaffeetasse in der Hand von Malte und ihr Inhalt verteilte sich relativ gleichmäßig über sein Hemd, das über dem Bauch etwas gespannt war. Sein Partner schaute ihn erst entgeistert an. Dann vermischten sich Begrüßung und Beschimpfung.
„Guten Morgen, du Idiot! Kannst du nicht deinen Dienst anfangen wie jeder andere hier - schlecht gelaunt und langsam? Was ist in dich gefahren?“
Malte hatte die Tasse auf dem Schreibtisch abgestellt und nestelte an den Knöpfen seines Hemdes herum, während er eilig Franks Büro verließ und den Gang entlang lief. Frank warf seine Jacke über die Lehne des Besucherstuhls und setzte sich an seinen Schreibtisch. Einen Tag war er nicht im Büro gewesen und trotzdem stapelten sich fünf Aktenordner und ein paar Schriftstücke auf der Arbeitsfläche. Er legte alles zur Seite und griff nach dem Telefon mit der Idee im Kopf, bei Ina anzurufen und ihr einen guten Morgen zu wünschen. Gestern hatten beide den Tag miteinander verbracht und es hatte gut getan zu merken, dass sein Job die Beziehung wohl nicht erstickt hat. Obwohl Ina und er zusammen wohnten, hatten sie nicht immer die Zeit füreinander, die eine Lebensgemeinschaft dieser Art seiner Meinung nach benötigte.
Sie arbeitete als Diplompädagogin in einer städtischen Einrichtung des Jugendamtes und musste - wie er – arbeiten, wenn es etwas zu tun gab und das war praktisch ständig der Fall, denn wie bei der Polizei war auch die Arbeit beim Jugendamt zum großen Teil deshalb so zeitintensiv, weil in diesen Bereichen so wenig Leute eingestellt wurden und sich so jede Menge Arbeit auf die Schultern von Wenigen verteilte. Auf den gestrigen gemeinsamen freien Tag hatten sie lange hingearbeitet. Es war gar nicht so einfach gewesen. Zuerst sollte es nämlich der kommende Freitag sein. Dann hätte die Chance bestanden, dass beide eventuell bereits nach Dienstende am heutigen Donnerstag in ein verlängertes Wochenende fahren konnten. Aber Malte hatte
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